Geldpolitik

EZB-Chefin Lagarde mit neuen Grabenkämpfen konfrontiert

EZB-Chefin Christine Lagarde
EZB-Chefin Christine LagardeREUTERS
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Erneut ringen Verfechter eines harten geldpolitischen Kurses  und Anhänger einer eher lockeren Linie darum, wie die Europäische Zentralbank in der Coronakrise weiter vorgehen soll.

In der Führungsspitze der EZB ist offenbar ein Streit über den weiteren Kurs in der Coronakrise ausgebrochen. Dies bestätigten mehrere mit der Sache vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Damit scheint der von Präsidentin Christine Lagarde mühsam erreichte Burgfrieden in Gefahr, der die unter ihrem Vorgänger Mario Draghi ausgebrochenen Grabenkämpfe in der Führungsetage über die geldpolitische Ausrichtung vorerst beendete.

Nun ringen erneut Verfechter eines harten geldpolitischen Kurses (sogenannte Falken) und Anhänger einer eher lockeren Linie (sogenannte Tauben) darum, wie die Europäische Zentralbank in der Coronakrise weiter vorgehen soll.

Auf der September-Sitzung des EZB-Rats seien die Differenzen offen zum Vorschein gekommen, sagten die Insider, die mit den Vorgängen in der Frankfurter Zentrale der EZB vertraut sind. Kritik habe dabei insbesondere Chefvolkswirt Philip Lane auf sich gezogen, der nach Ansicht seiner Kritiker zu zögerlich auf den Anstieg des Eurokurses reagierte, der den Exporteuren zu schaffen macht und damit die wirtschaftliche Erholung der Eurozone zu bremsen droht.

Einige Währungshüter hätten auf der Sitzung eine stärkere verbale Intervention gegen den Anstieg gefordert, ähnlich wie es Draghi 2018 gemacht habe. Lane habe seine eher gemäßigte Linie jedoch durchgesetzt. Angesichts steigender Zahlen von Neuinfektionen mussten die Währungshüter zugleich darüber entscheiden, ob sie weitere Konjunkturimpulse setzen oder vorerst still halten und auf die Wirkung der bisher vereinbarten Maßnahmen vertrauen sollten. Der Rat entschied sich, nach mehreren großen Stützungsschritten die Füße still zu halten. Die Falken hatten sich laut Insidern zugleich vergeblich dafür eingesetzt, dass die EZB angesichts des freundlichen Marktumfelds das Volumen ihrer Anleihen-Käufe insgeheim verringern sollte, damit sie für den Fall neuer Marktturbulenzen genug Feuerkraft habe, ohne das Programm ausweiten zu müssen.

Als wäre Mario zurück

Einige Kritiker monierten, dass die Projektionen der EZB zu pessimistisch ausgefallen seien, da in ihnen bereits beschlossene fiskalische Maßnahmen noch nicht berücksichtigt worden seien, die der Konjunktur zusätzlichen Schub verleihen dürften. Nach neuen Prognosen der Volkswirte der Notenbank wird erwartet, dass der Konjunktureinbruch in diesem Jahr mit 8,0 Prozent etwas weniger stark sein wird als noch im Juni befürchtet wurde. Damals wurde mit einem Absturz um 8,7 Prozent gerechnet.

Aus dem EZB-Stab seien zudem Vorschläge laut geworden, das zuletzt im Juni aufgestockte Corona-Anleihenkrisenprogramm PEPP erneut auszuweiten - von derzeit 1,35 Billionen Euro auf zwei Billionen Euro. Lagarde habe dies aber vom Tisch gewischt. Die von der Präsidentin vorgezeichnete, eher abwartende Linie wurde allerdings jüngst von EZB-Direktor Fabio Panetta konterkariert, der die Losung ausgab: Angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie muss die EZB eher klotzen als kleckern. Zwar würden die seit März beschlossenen geldpolitischen Schritte die Konjunktur und auch die Inflation kräftig anschieben. Das seien bemerkenswerte Ergebnisse, sagte Panetta, der im sechsköpfigen Führungsteam unter anderem für das Ressort Internationale und Europäische Beziehungen zuständig ist. "Aber die Aussichten, mit denen wir konfrontiert sind, sind nichtsdestotrotz immer noch nicht befriedigend."

Das Vorpreschen des Italieners erinnert einen der von Reuters kontaktierten Insider an den Stil des früheren EZB-Chefs Draghi: "Es wirkt so, als wäre Mario zurück." Dabei hatte es Lagarde viele Mühe gekostet, den unter Draghi aufgetreten Riss in der Führungsebene der EZB zu kitten. Kritiker halten Draghi vor, abweichende Positionen häufig einfach weggewischt zu haben. Zudem habe er dazu geneigt, in öffentlichen Auftritten vor wichtigen geldpolitischen Entscheidungen starke Vorfestlegungen zu treffen. Dies habe Uneinigkeit unter den Euro-Wächtern geschürt, die bei ihren Zinstreffen traditionell stark auf Konsens abzielen.

Lagarde hatte diesem Vorgehen ihr Credo gegenübergestellt: "Ich suche immer nach der gemeinsamen Basis, um die verschiedenen Meinungen zusammenzubringen." Offenbar will sie dieser Linie trotz aller Differenzen im Rat weiter treu bleiben, wie einer der Insider vermutet: "Sie ist ständig am Telefon und hat im Juni einen Konsens erreicht. Daher habe ich keinen Grund zur Annahme, dass sie ihren Stil ändern wird."

(APA/Reuters)

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