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Ein liberaler Unternehmer führt Belgiens neue Regierung

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BELGIUM-POLITICS-GOVERNMENTAPA/AFP/FRANCOIS WALSCHAERTS
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Sieben Parteien raufen sich zur „Vivaldi-Koalition“ zusammen. Der neue Regierungschef, Alexander De Croo, muss Pandemie und Schulden in den Griff bekommen.

Nach elf Monaten endet am Donnerstag die Amtszeit der ersten Frau an der Spitze von Belgiens Regierung. Die Brüsseler Liberale Sophie Wilmès beendet ihre Zeit als interimistische Ministerpräsidentin, nachdem sich sieben Parteien zu einer Koalition zusammengerauft haben. Diese trägt den Spitznamen „Vivaldi“, denn wie in den „Vier Jahreszeiten“ des Komponisten enthält sie die vier gemäßigt-zentristischen Elemente des politischen Spektrums Belgiens: Liberale, Sozialdemokraten und Grüne in jeweils französisch- sowie niederländischsprachiger Formation, dazu Flanderns Christlichsoziale.

Neuer Regierungschefs wird der 44-jährige Liberale Alexander De Croo. Sein Vater war bereits Minister, er selbst zuletzt Vize-Premier. De Croo hat an der Northwestern University in den USA Betriebswirtschaftslehre studiert, dann bei der Beratungsfirma Boston Consulting Group angeheuert. Danach machte er sich selbstständig, als Konsulent für Fragen des geistigen Eigentums. Den Spalt zwischen Französisch und Niederländisch überbrückt er mühelos: Als Kind verbrachte er seine Sommer in Ferienlagern in der Dordogne, von wo er einen Wortschatz mitbrachte, der seine Mutter erblassen ließ, wie die Zeitung „La Libre Belgique“ festhielt.

De Croo ist der erste Unternehmer in der 190-jährigen Geschichte Belgiens, der eine Regierung führt. Unternehmerischen Einfallsreichtum wird er benötigen, um die zahlreichen Probleme seines Landes anzupacken. Allen voran steht der Umgang mit der Coronapandemie. Belgien hat am Mittwoch die symbolische Schwelle von 10.000 Toten überschritten. Zwar ist die tägliche Zahl der Sterbefälle derzeit im einstelligen Bereich, haben Intensivstationen noch Spielraum. Doch das Virus zirkuliert rasant. In der Hauptstadt Brüssel ist jeder zehnte Test positiv. Darüber hinaus ist kaum Vorsorge für die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie getroffen, denn Wilmès' Regierung hatte dazu keine Ermächtigung des Parlaments.

Erschwert wird diese Übung dadurch, dass Belgiens Staatsschuldenquote von derzeit 118 Prozent der Wirtschaftsleistung sich jener Schwelle von 120 Prozent nähert, ab der laut der belgischen Nationalbank reine Budgetmaßnahmen nicht mehr reichen, um sie zu stabilisieren (geschweige denn zu senken).

Rechte Flamen zürnen

Die stärkste Partei des Nordens, die autonomistische N-VA, wettert ebenso gegen die angeblich zu geringe Vertretung der Flamen in dieser Koalition wie der rechtsextreme Vlaams Belang. Letzterer organisierte vergangenes Wochenende einen Autokorso mit Tausenden Teilnehmern.

Tatsächlich verfügen die vier an der Koalition beteiligten flämischen Parteien gemeinsam über keine Mehrheit unter den flämischen Abgeordneten des Bundesparlaments. Um den Vorwurf der zu starken wallonischen Schlagseite zu entkräften, einigte man sich auf den Flamen De Croo als Regierungschef – und nicht, wie es die belgische politische Tradition geboten hätte, auf den Kandidaten der stärksten Partei der Koalition, Paul Magnette von den wallonischen Sozialdemokraten.

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