Erdgasstreit

Stunde der Wahrheit für die Türkei: EU entscheidet über Beziehungen

Recep Erdogan winkt einem Boot zu, das Bohrungen im Schwarzen Meer vornimmt.
Recep Erdogan winkt einem Boot zu, das Bohrungen im Schwarzen Meer vornimmt. (c) via REUTERS (PRESIDENTIAL PRESS OFFICE)
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Muss die EU sich stärker in den Konflikt um Seegebiete im östlichen Mittelmeer einmischen? Und wenn ja: wie?

Die Drohkulisse für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde in den vergangenen Wochen sorgsam aufgebaut. Falls sich die Türkei im Seegebietsstreit mit den EU-Ländern Griechenland und Zypern nicht kompromissbereiter zeigt und weiter in umstrittenen Zonen Erdgaserkundungen vornimmt, kommt beim nächsten EU-Gipfel das Thema Sanktionen auf den Tisch - so lautete die Ansage aus Brüssel in Richtung Ankara.

Präzise listete der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auch auf, was das bedeuten könnte: Hafenverbote für türkische Schiffe, Handelsbeschränkungen oder sogar Sanktionen gegen ganze Wirtschaftsbereiche. Das Motto: Wir wollen Dialog, aber irgendwann ist auch die Geduld der EU am Ende.

An diesem Donnerstag treffen sich nun die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten zu ihrem Gipfel und müssen entscheiden, wie es weitergeht im Verhältnis mit der Türkei. Braucht es neue Sanktionen und mehr Druck, weil die Entspannungssignale aus Ankara nicht ausreichend sind? Oder vielleicht sogar das Gegenteil - also Anreize, um Erdogan zu ermuntern, dauerhaft auf Gesprächsbereitschaft zu setzen? Bei den Europäern sorgt das Verhältnis zur Türkei seit langem für Streit und Konflikte: Das Land ist zwar immer noch EU-Beitrittskandidat, rückt aber zunehmend ab von Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten der Union.

Erpressung, um Forderungen Nachdruck zu verleihen

Die Ausgangssituation im Mittelmeer ist komplex. So hat die Türkei zuletzt ihre umstrittenen Erdgaserkundungen in von Griechenland beanspruchten Meeresgebieten unterbrochen und nach Vermittlungsbemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar mit Athen vereinbart, Sondierungsgespräche über eine Beilegung des Konflikts aufzunehmen. Zugleich sind aber weiter türkische Schiffe für Erdgaserkundungen vor Zypern unterwegs.

Der kleine Inselstaat verlangt deswegen bereits seit Monaten neue EU-Sanktionen gegen die Türkei und griff zur großen Verärgerung vieler EU-Partner zuletzt sogar zum Instrument der Erpressung, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. So konnte die EU bis heute nicht die lange geplanten Sanktionen gegen die Führung in Belarus verhängen, weil die Regierung in Nikosia ihnen erst dann zustimmen will, wenn es auch neue Türkei-Sanktionen gibt.

Ob und wenn ja wie beim EU-Gipfel eine Lösung für dieses Problem gefunden werden kann, war bis zuletzt unklar. Etliche Staaten sind der Ansicht, dass neue Türkei-Sanktionen eher kontraproduktiv sein dürften und zudem das Risiko bergen, dass Ankara mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik zurückschlägt. Folge könnte dann ein stark steigender Druck auf die EU-Außengrenzen in Ländern wie Griechenland sein.

Provokant, aber vielleicht nicht illegal

Hinter den Kulissen wird zudem darauf verwiesen, dass es keineswegs klar ist, ob ein internationales Gericht den Gebietsansprüchen von Griechenland und Zypern überhaupt vollständig recht geben würde. Demnach sind die Erdgaserkundungen der Türken vor einer Klärung der Ansprüche zwar ganz klar eine unnötige Provokation. Vielleicht aber eben gar nicht grundsätzlich illegal.

Grundsätzlich vertritt die Türkei die Ansicht, dass sie nur in Gebieten nach Erdgas sucht, die zu ihrem Festlandsockel gehören. Griechenland und Zypern sind hingegen der Meinung, dass die Gebiete nach dem internationalen Seerechtsübereinkommen Teil ihrer sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone seien. Problem ist allerdings, dass die Türkei diesem Abkommen nie beigetreten ist.

Deutschland und Frankreich uneinig

Zusätzlich kompliziert wird die Lage noch dadurch, dass sich nicht einmal die beiden einflussreichsten EU-Staaten Deutschland und Frankreich einig darüber sind, wie man mit der Türkei umgehen sollte. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur symbolischen Unterstützung Griechenlands sogar zusätzliche Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer schickte und offen gegenüber zusätzlichen Türkei-Sanktionen ist, bemühte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel darum, die Streitparteien wieder an einem Tisch zu bringen.

Als ein Grund für die unterschiedliche Herangehensweise gilt, dass Frankreich das östliche Mittelmeer seit langem als sein Einflussgebiet sieht und der französische Energiegigant Total im Auftrag der Republik Zypern unterseeische Erdgasvorkommen südlich von Zypern erkundet. Frankreich profitiert auch direkt von der Aufrüstung in Griechenland: Athen kündigte den Kauf von 18 französischen Rafale-Kampfjets an. In Deutschland werden hingegen eher die Gefahren gesehen, die von einer weiteren Eskalation der Spannungen mit dem für die NATO und die Flüchtlingspolitik wichtigen Partner Türkei ausgehen könnten.

Wichtig sei nun, dass man an diesem Donnerstag beim Gipfel eine gemeinsame Linie finde, heißt in Brüssel. Wenn das gelinge und die Spannungen mit der Türkei abnehmen, könnten sich am Ende sowohl Merkel als auch Macron als Sieger feiern. Merkel dürfe dann für sich beanspruchen, die direkten Gespräche zwischen der Türkei und Griechenland vermittelt zu haben. Macron könnte behaupten, dass dies nur gelingen konnte, weil er vorher gezeigt habe, dass Griechenland und Zypern im Fall einer weiteren Eskalation des Konflikts auf die uneingeschränkte Unterstützung und Solidarität der Atommacht Frankreich zählen können.

(APA/dpa)

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