Hans Kelsen setzte sich zeit seines Lebens für politische Bildung ein und veranstaltete selbst Kurse.
An sechs Abenden, Woche für Woche, kamen 1910 gezählte 52 wissbegierige Wiener zusammen, um einen jungen Rechtsgelehrten namens Hans Kelsen vortragen zu hören. Sein Thema: „Allgemeine Staatslehre“. Der Ort: Ein Volksheim in Ottakring. Bis zu seiner Emigration blieb Kelsen den Volksbildungseinrichtungen als Vortragender treu. Für ihn als jungen Wissenschaftler trugen die Vorträge und Kurse bei zu seinem finanziellen Auskommen. Als er bereits arriviert war und es nicht mehr nötig hatte, hier aufzutreten, machte er es dennoch: Die Vortragstätigkeit bot ihm die Möglichkeit, an seinem Ideal der Demokratisierung von Wissen mitzuarbeiten.
Das war damals das Ideal vieler: Es war nicht nur das legendäre Bildungsprogramm des Roten Wien, das dahinter stand, der Großteil der Spenden kam von Bankiers und Industriellen, die erkannten, dass der weitere wirtschaftliche Fortschritt in hohem Maße von der Heranbildung einer qualifizierten Arbeiterschaft abhing und die sich deshalb an der Entfaltung einer Volksbildungsbewegung, die sich speziell an Arbeiter richtete, interessiert zeigten.