Ein Projekt für „Carinthija2020“: Im Loibltal/Brodi 1 folgt man dem "Gedächtnis des Ortes".
Kulturtrip

"Carinthija": Eine Sphäre, zwei Sprachen, viele Orte

Corona hat dem Kärntner Veranstaltungsmarathon zu „100 Jahre Volksabstimmung“ nicht komplett dazwischengefunkt. Das Programm von „Carinthija 2020“ fordert die Besucher ohnedies, mobil zu sein. Eine zweisprachige Reise von Pliberk bis Finkenstein, von Brodi bis Nötsch.

Am 10. Oktober ist es hundert Jahre her, dass die Bevölkerung im Süden Kärntens über den Verbleib bei Österreich oder die Zugehörigkeit zum SHS-Staat abgestimmt hat. An die 60 Prozent entfielen bei der Volksabstimmung auf Österreich, die Stimmen kamen sowohl von deutschsprachigen als auch slowenischsprachigen Kärntnern und Kärtnerinnen. Wäre heuer ein normales Jahr, ohne Corona, würde in Klagenfurt am Landesfeiertag (10. 10.) das „Fest der Täler“ groß über die Bühne gehen. Und hätte das Jubiläum des für Kärnten so bedeutenden historischen Ereignisses vor dem Ausbruch der Pandemie auch mit größeren Aktionen begonnen.

Die Mobile Ausstellung vermittelt kompakt und zweispachigdie Hintergründe und die Folgen der Volksabstimmung.
Die Mobile Ausstellung vermittelt kompakt und zweispachigdie Hintergründe und die Folgen der Volksabstimmung.F. Neumüller

So kommt es der Landesausstellung „Carinthija 2020“ mitunter zugute, dass sie sich auf viele Orte und Projekte im Süden Kärntens verteilt, sich auf das Deutschsprachige und das Slowenischsprachige und das Gemeinsame daraus konzentriert. Das hat für den Besucher den Vorteil, vor allem in der historischen Abstimmungszone I viel Unterschiedliches in kleinem Rahmen zu sehen. Genauso wie es manchen Akteuren ermöglicht, sich auch auf Ungewöhnliches einzulassen. Nebeneffekt ist zudem, dass das Programm bis 2021 weiterläuft und dann, hoffentlich, manche Veranstaltung stattfinden wird. Geplant sind dann etwa die Aufführung von Peter Handkes „Immer noch Sturm“ in Haimburg und Völkermarkt oder eine Hommage an Johann Kresnik in Bleiburg.Eröffnet wurde „Carinthija 2020“ mit einer „Mobilen Ausstellung“, die noch immer in Kärnten tourt – vom Start in Völkermarkt bis hinauf auf die Franz-Josefs-Höhe beim Großglockner und schließlich nun retour nach Klagenfurt. Sie soll ebenso in Wien und vielleicht auch in Ljubljana gezeigt werden.

Rotes Band, auf dem Mond

Große Themenbereiche von „Carinthija“ betreffen die Kultur, Kunst und Brauchtum, aber auch die Schulen und die Wissenschaft sind eingebunden. Das Programm spielt sich oft im Freien ab beziehungsweise manifestiert sich mitunter im Ortsbild, wie etwa in St. Jakob im Rosental: Hier verläuft ein breites rotes Band durch die Gemeinde – die „Grenz/Hranca“ ist Diskussionsstoff im wörtlichen Sinne – ausgerollt vom Slowenischen Kulturverein Rož über Fassaden, Dächer, Wege. Auch wer zwischen Rosegg und Lavamünd auf den zwölf Brücken über die Drau gesetzt hat, wurde immer wieder Kunst im öffentlichen Raum gewahr, die genau eines will: über historische Konflikte und Gesinnungsgräben „Brücken bauen – Gradimo Mostove“.

Bei all dem ernsthaften Hintergrund – Satire, Komik, Ironie sind zulässige Mittel, wie man zum Beispiel im Kultur- und Kommunikationszentrum in St. Johann i. R./Šentjanž v Rožu sieht. Dort wird am 6. Oktober wieder „2020: A Grace Odyssey“ gezeigt, ein experimenteller Film und Fake-Doku des Vereins Verus und Vada über ein sehr spezielles 10.-Oktober-Ereignis: Das Land Kärnten will die Mitglieder einer deutsch-slowenischen Kärntner Band auf den Mond schicken, zwecks Aufstellung eines Volksabstimmungsdenkmals, Kranzniederlegung und Konzerts. Originell, welche Blüten die Idee dann treibt.

Neues Format, viele Lesarten

Etliche Kulturvereine in Kärnten haben sich erstmals zur Teilnahme an den 10.-Oktober-Feierlichkeiten entschlossen, weil diese Landesausstellung eben Platz hat für viele Lesarten und sich in ihrer Fülle einseitigen Vereinnahmungen verweigert. Heute ist Slowenisch in der Landesverfassung festgeschrieben, allerdings nicht zweite Amtssprache. Nicht nur sprachlich tauscht man sich aus, Kooperationen überschreiten die mit den Karawanken idente Grenze zum Nachbarn: Gemeinsam mit Slowenien entstand etwa ein Geopark (Euregio-Projekt), das touristisch interessant ist. Kulturschaffende zwischen Kärnten und Slowenien tauschen sich aus, kulinarisch ergeben sich traditionell große Schnittmengen. Welche Schritte über all die schwierigeren Jahre in diese Richtung führten – auch das zeigt die Landesausstellung.
Einige Veranstaltungen beziehungsweise Ausstellungen im Folgenden kann man im Oktober noch besuchen:

Schließlich in Klagenfurt: Die Mobile Ausstellung

Mobil ist die Überblicksschau auch in sich: Die temporäre Architektur ist beweglich.
Mobil ist die Überblicksschau auch in sich: Die temporäre Architektur ist beweglich.Sabine Ertl

Niederschwellig zeigt sich die Mobile Ausstellung zentral, am Neuen Platz, in Klagenfurt. Offen die temporäre Architektur: Auf einem 40 Meter langen Holzpodest stehen torartige Aufbauten, die ihrerseits beweglich sind. Dahinter reihen sich Schau- und Texttafeln und Displays, interaktive Elemente – moderne Szenografie. Leicht fassbar, aber fokussiert wurde das Komplexe von Wissenschaftlern, Künstlern und der Landeskulturabteilung aufbereitet. Man erhält einen Überblick vom Zerfall der Donaumonarchie über den Abwehrkampf bis zur Ortstafeldiskussion, vom Kompromiss bei der Friedenskonferenz in Paris, weiter über die NS-Zeit bis zu einer Gegenwart in gemischtsprachigen Kennzahlen.Man sieht historisches Material wie beiderseits drastische Propagandaplakate und bekommt ein paar Meter weiter eine zeitliche Kostenrechnung für einen Reindling alias Pohaca. An einer Stelle kann man auch ein paar Vokabeln Slowenisch lernen, wenn man es nicht ohnedies beherrscht. Auch durch eine VR-Brille lässt sich blicken. All die kleinen Interventionen in dieser durch die Bezirksstädte gereisten Schau zeigen den Weg in eine Gegenwart, in ein Kärnten beider Sprachen. Aufschlussreich in der verdichteten Materialfülle sind zudem die Lebensgeschichten von Zeitzeugen.

Führungen gegen Anmeldung (max. zehn Personen). landesmuseum.ktn.gv.at, carinthija2020.ktn. gv.at

Im Loibltal: Das Gedächtnis des Ortes

Ausgangspunkt von Geschichten: K.u.K. Straßeneinräumerhaus, direkt neben der Loiblstraße.
Ausgangspunkt von Geschichten: K.u.K. Straßeneinräumerhaus, direkt neben der Loiblstraße.Petra Kohlenprath

Dicht neben der Loiblstraße, nicht weit von der slowenischen Grenze entfernt, steht ein altes kleines Haus: Brodi 1/Loibltal 1 wurde 1896 als k. u. k. Straßeneinräumerhaus errichtet, war der Familie Kohlenprath früher Heimat und speichert als Ort viele Ereignisse, die symptomatisch für diese Region sind: politische Wirrnisse, die sprachlichen Verwerfungen im Schatten einer Grenze. Die Übergriffe, das Schweigen, die Erkenntnis, all das schrieb sich dem Gebäude ein. Petra Kohlenprath geht mit ihrem Kulturverein Interferenzen in ihren Arbeiten vom Alltäglichen aus, das dieses Haus birgt: Bücher, Fotografien und Gebrauchsgegenstände sind seit einigen Jahren Ausgangspunkt für slowenisch-deutschsprachige Texte, Ausstellungen und heuer darüber hinaus ein kleines Festival. Von hier aus erschließen sich die Lebenswege von Vorfahren, von Bewohnerinnen und Bewohnern des Loibltals, und verdichten sich Recherchen – auch von Künstlerkollegen, die in Brodi 1 immer wieder vorbeikommen. So etwa Alois Hotschnig, dessen Erzählung „In Sichtweite“ nach Gesprächen mit Hanzi Kohlenprath, dem Hausherrn und Vater der Künstlerin, entstand.Das Haus ist kein herkömmliches Museum, sondern weitgehend so erhalten, wie es zurückgelassen wurde. In der Holzhütte und in der Stube, der „Čitalnica“ (Lesesaal), kann man in die Geschichten eintauchen. Draußen vor dem Haus hat die Urbanistin und Gestalterin gemeinsam mit Sanela Pansinger eine permanente Ausstellung über „Die (un)sichtbaren Erscheinungsformen des Zaunes“ installiert.

Kohlenprath ist am 4. Oktober überdies Teil der Diskussionsrunde im Burgtheater zum Thema „Wie viel Zukunft hat unsere Vergangenheit?“ nebst Maja Haderlap, Keynote Martin Kušej.

„Das Gedächtnis des Ortes/Kraj in njegov spomin“ im Haus Loibltal/Brodi 1 ist bis 11. Oktober geöffnet. Anmeldung erforderlich. 2020.interferenzen.at

Reflexionen über Anton Koligs zerstörte Fresken

Zu modern, zu unkonventionell muteten die Malereien an, mit denen Anton Kolig und eine Gruppe seiner Stuttgarter Studenten einen Saal im Klagenfurter Landhaus 1929/30 gestaltete. Nicht ganz verstanden wurde Koligs Zugang zum Thema Volksabstimmung eigentlich schon am Zeitpunkt deren zehnjähriger Wiederkehr – bis die Fresken 1938/39 von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ zerstört wurden. Das Museum des Nötscher Kreises widmet sich Koligs Freskenzyklus, von dem nur mehr Schwarz-Weiß-Fotos zeugen. Und man versuchte mit dem Klagenfurter Landhaus die Wandmalereien dokumentarisch zu rekonstruieren. Zudem sind Arbeiten von Studierenden der Wiener Universität für angewandte Kunst und von Elisabeth Wedenig Teil der Ausstellung in Nötsch.

Bis 1. November (noetscherkreis.at), bis 31. Oktober im Landhaus in Klagenfurt.

Pullfaktor – Festzug der Tiere durch Kärnten/Koroška

Eine rollende Wanderausstellung mit künstlerischem Zugang: Pullfaktor von UNIKUM ist ein origineller Festzug der Tiere durch Kärnten/Koroška.
Eine rollende Wanderausstellung mit künstlerischem Zugang: Pullfaktor von UNIKUM ist ein origineller Festzug der Tiere durch Kärnten/Koroška.Unikum

Bei Feierlichkeiten paradieren oft Wagen um Wagen an Publikum und offiziellen Vertretern vorbei, doch heuer sollte es diese in der Form nicht geben. Warum nicht eine andere Art von Parade auf den Weg schicken? Mit Pkw-Anhängern, die ihre Inhalte – Kunstwerke – unorthodox transportieren? Mit Wappentieren, die sich nicht so leicht verorten lassen, weil sie migrieren und doch hier, fiktiv verknüpft mit Südkärntner Gemeinden, unterwegs sind? Der Beitrag des Klagenfurter „Unikum“ zur Landesausstellung ist ein „Festzug der Tiere durch Kärnten/Koroška“ und macht noch Stationen in Bad Eisenkappel, Klagenfurt und St. Johann im Rosental in Form einer Wanderausstellung auf Pkw-Anhängern. Das Logo-Tier ist für „Unikum“ der Waldrapp, der allerdings tatsächlich in Kärnten, in Rosegg, wohnt, ja gewissermaßen gestrandet ist.Die meisten der Kunst-Wagen sind auch interaktiv: Einer etwa fungiert als eine Art Schießbude, das Ziel sind Kunstwerke. Ein anderer zeigt sich als eine Disco der im ganzen Kulturraum beheimateten Carnica-Biene.

Mancher Bezug lässt sich quasi über die Bande herstellen, etwa die Nachbildung von Blutegeln aus dem Turnersee (keine Bange: aus Polyester). Und auch die Süßwasserschwämme erklären sich in ihrem Kontext, in dem sie auftauchen. Beteiligt am „Pullfaktor“ sind 16 Künstler und Künstlerinnen, involviert sind 13 Symboltiere vom Wanderhuhn bis zum Kärntner Brillenschaf. Die Aktion bietet spielerischen Zugang – und die Gelegenheit zu Diskussion und Austausch.

Termine: unikum.ac.at, carinthija2020. ktn.gv.at

Weitere Termintipps

Ausstellung: „Manfred Deix trifft Werner Berg“ im Werner Berg Museum in Bleiburg, bis 31. 10. www.wernerberg.museum
Film: „2020 A Grace Odyssey“, in  St. Johann/Feistritz i. R. (6.10.), in Bad Eisenkappel-Vellach (9.10.), in Ferlach (15.10.)
„Vor dem Verschwinden/ Izginjanje“ von Andrina Mračnikar am 27. 10. in Klagenfurt und 30.10. in Keutschach
Weitere Programminfos zu „Carinthija: „100 Jahre Kärntner Volksabstimmung. Ein Land mit Zeitreisen und Perspektiven.“ www.carinthija2020.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Jugoslawien war eine kommunistische Diktatur mit gewissen Freiheiten.
Leitartikel

Das Ende Jugoslawiens als Game Changer

Hundert Jahre nach der Kärntner Volksabstimmung sind auch die Grenzen in den Köpfen gefallen. Ein geglücktes Zusammenspiel von Nationalstaat und EU.
Volksgruppenvertreter Valentin Inzko sieht zum Abstimmungsjubiläum die Vergangenheit kritisch, die Zukunft verhalten optimistisch.
Interview

Valentin Inzko: „Es ist cool geworden, Slowenisch zu sprechen“

Volksgruppenvertreter Valentin Inzko sieht zum Abstimmungsjubiläum die Vergangenheit kritisch, die Zukunft verhalten optimistisch.
Chronologie

Kärnten war jahrhundertelang umkämpft

Das Votum vom 10. Oktober 1920 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des südlichsten österreichischen Bundeslandes, brachte aber trotz seines klaren Ergebnisses keine Beruhigung im jahrhundertelang wild umkämpften Land.
1920/2020

Kärntner Volksabstimmung war kein Einzelfall

Nach dem Ersten Weltkrieg sind die Grenzen in ganz Mitteleuropa neu gezogen worden. Meist wurden die Grenzverläufe von den Siegermächten bestimmt - mit vier Ausnahmen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.