Jubiläum: Ein wenig bitter ist die Pille doch

Jubilaeum wenig bitter Pille
Jubilaeum wenig bitter PilleBilderbox (Montage: Presse.com)
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Chemiecocktail statt Sex ohne Risiko: Nach 50 Jahren Antibabypille prägen potente Wirkstoffe, aber auch fehlende Aufklärung und weibliches Selbstbewusstsein die sexuelle Landkarte.

Was passiert, wenn man ein 17-jähriges Mädchen spontan mit der historischen Bedeutung der Pille für die weibliche Emanzipation konfrontiert? Mindestens eine Sekunde Stille am anderen Ende der Telefonleitung. Dann: „Ja, eh. Aber mir geht es vor allem darum, dass ich nicht schwanger werde.“ Kein Wunder – Antonia, Schülerin einer Wiener HBLA, wurde 33 Jahre nach der Markteinführung des ersten Pillenpräparats (18.August 1960) geboren und sieht das Thema Verhütung dementsprechend nüchtern. Den Begriff „Befreiung“ will sie mit ihrem Einstieg in die hormonelle Kontrazeption nicht unbedingt assoziiert wissen – nach einem halben Jahr Beziehung wollte sie schlicht mehr Sicherheit als mit Kondomen. Das tägliche Pillenschlucken empfindet Antonia als „nervig“ und als große Verantwortung, die sie nun, im Unterschied zu vorher, ohne ihren Freund trage.

Dass manche von Antonias Freundinnen bedenkenlos schon länger die Pille nahmen und einige wenige aus Sorge um Nebenwirkungen zögerten, reflektiert das statistische Gesamtbild, das man aus vielen Studien zimmern muss, ganz gut: Obwohl das Kondom vor allem bei Jugendlichen seit den 90ern an Anhängern gewonnen hat, ist die Pille 50 Jahre nach ihrer Erfindung immer noch das wichtigste Verhütungsmittel der jungen Frauen – und „Frauen“ ersetzt hier nicht grundlos „Paare“: Vom Ludwig-Boltzmann-Institut nach ihrem Verantwortungsgefühl befragt, gaben 74 Prozent der unter 45-jährigen Männer an, sich verhütungstechnisch auf ihre Partnerinnen zu verlassen. Von diesen verhüten im Alter von 15 bis 24 Jahren 52 Prozent mit der Pille (Gfk Austria, 2008), in Deutschland laut einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter den 20- bis 29-Jährigen sogar 72 Prozent.

Je älter und erfahrener die Frau, desto mehr gewinnen andere Verhütungsmittel an Anteil – vor allem Hormon- oder Kupferspirale. Die Spirale, das geringer dosierte Hormonpflaster sowie der Vaginalring werden aber auch vermehrt zur Option für jüngere Frauen. Die Meinung, dass eine Frau für die Spirale bereits gebärt haben muss, gilt weitgehend als widerlegt.

Zweifel an der Popularität

Wer sich unter Gynäkologen und Leitern von Beratungsstellen umhört, dem kommen dennoch Zweifel an der statistisch so unbeeinträchtigt wirkenden Popularität der Pille. Es scheint, als hätte die Diva der modernen Verhütungsmedizin zwar kaum an Verbreitung, aber einiges von ihrem Glanz eingebüßt: Von einer wachsenden Zahl gebildeter und älterer Frauen, die dem „Chemiecocktail“ Pille immer kritischer entgegentreten, berichten Experten im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ – einer von ihnen ist Johannes Huber, Abteilungsleiter an der Wiener Uniklinik für Frauenheilkunde. „Ich bemerke ein Zurückgehen des Interesses an hormoneller Verhütung und zunehmende Verwirrung rund um Hormonersatztherapien, beides wird stärker als Belastung verstanden – die Reproduktion ist im Körper der Frau aber so gut abgesichert, dass wir schlicht noch nichts besseres als die Pille haben.“

Keine Alternative?

In puncto Alternativenlosigkeit treffen sich die Ansichten des Gynäkologen mit jenen von Beate Wimmer-Puchinger. Die Psychologin ist als Wiener Frauengesundheitsbeauftragte eine langjährige Beobachterin des Sexualverhaltens der Österreicher. Und als eine, die den befreienden Effekt der Pille als junge Frau selbst miterlebte, auch eine ihrer Verfechterinnen: „Natürlich denken besser gebildete Mädchen zunehmend über die Effekte von Hormonen nach, aber eine gleich sichere und praktische Alternative gibt es nicht – außerdem darf man die Bedeutung, die die Pille für die Lebensplanung von Frauen und die Möglichkeit hat, eine Beziehung vor Geburt eines Kindes reifen zu lassen, nicht vergessen“, so Wimmer-Puchinger. Den Eindruck, dass Pillenkonsumentinnen immer jünger würden, kann sie nicht bestätigen: Das „erste Mal“ erleben die meisten Jugendlichen im Alter von 15 Jahren, dies habe sich kaum gewandelt.

Skepsis bei Gebildeten

Dass das „Durchnehmen“ der Pille immer populärer wird, ist ein Trend, den Ärzte bestätigen: Die Blutung, die in den sonst pillenfreien Tagen eintritt, wird so vermieden. Ein Trend, der mit „zurück zur Natur“ nichts zu tun hat – was bei Betrachtung der weiblichen Population auch verständlich ist, weil die Auseinandersetzung mit der Wirkung verschiedener Substanzen eher ein Charakteristikum gebildeter Frauen ist. In die „First Love“-Sexualberatungsstellen, die seit 1992 traditionell eher Mädchen aus bildungsfernen Elternhäusern betreuen, kommt nach wie vor die Mehrheit der an Verhütung interessierten Mädchen wegen der Pille.

Trotzdem: Als Hintergrund der Pillenskepsis bei Gebildeteren lässt sich nicht nur eine generelle Tendenz westlicher Gesellschaften nennen, Körperprozesse naturwissenschaftlich zu bewerten (Stichwort gesund essen), sondern auch handfestere Sachverhalte: Der Konzern Bayer Schering Pharma, der zwölf von derzeit 40 Pillen am Markt erzeugt, sieht sich in den USA mit einer nie erlebten Klagewelle wegen von Pillen ausgelösten Thrombosen (Blutgerinnsel) konfrontiert. 2700 Klagen lagen mit 10.Juli aufgrund von Nebenwirkungen der Pillen Yaz, Yasmin und Ocella in den USA vor. Weltweit sind laut amerikanischer Gesundheitsbehörde FDA 190 Frauen gestorben.

Sammelklagen

Die Packungsbeilagen hat der Konzern ergänzt, in einer Stellungnahme gegenüber der „Presse am Sonntag“ geht man in die Defensive: Keine der Klagen beziehe sich auf eine im Beipackzettel nicht vermerkte Nebenwirkung, der Ursprung der Affäre liege in der „emotionalen“ Berichterstattung und bei „Anwälten, die den Lebensunterhalt durch Sammelklagen dieser Art bestreiten“. Beides – dass Anwälte mit Sammelklagen Geld verdienen und über junge kranke Frauen emotional berichtet wird – ist wenig überraschend. Trotzdem ist, angesichts der Masse an involvierten Medien und Juristen, die Formation einer überkritischen Anti-Pillen-Szene in den USA nicht ganz zu negieren. Der österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit liegen seit 2002 16 Meldungen über thromboembolische Ereignisse vor, 2006 gab es sogar einen Todesfall.

Für Frauen ohne Veranlagung zur Thrombose kommt vom Gynäkologen Sepp Leodolter allerdings Entwarnung – er schätzt das Risiko, durch ein Blutgerinnsel geschädigt zu werden, bei Yaz und Yasmin als „nicht gefährlicher“ ein als bei anderen Pillen, spricht aber auch von schwierig vergleichbaren Daten. Und: Die Entwarnung gilt ausgerechnet nicht für jene Frauen, deren Bedürfnisse die Präparate ansprechen: die Übergewichtigen. Denn Yaz, Yasmin und Co. enthalten den Wirkstoff Drospirenon, dessen „Nebenwirkung“ es ist, den Körper zur Wasserausscheidung anzuregen. Das verhindert oft bemängelte Wassereinlagerungen – sollte aber bei übergewichtigen Frauen, die ohnehin ein höheres Thromboserisiko haben, Vorsicht auf den Plan rufen.

Wer sich mit Mängeln heutiger Pillen befasst, muss fairerweise auch die Verbesserungen nennen: Hormonell gesehen war „Enovid“ 1960 rund zehn Mal so stark dosiert wie heutige Präparate, außerdem bieten diese mittels neuer Gelbkörperhormone eine breite Palette positiver Nebenwirkungen: Hilfe bei Regelschmerzen, Akne, unregelmäßigem Zyklus oder zu starker Blutung. „Die Kunst, die Pille zu verschreiben, liegt heute darin, individuelle Wünsche zu beachten“, so Leodolter.

In puncto Krebsrisiko bei Pillenkonsumentinnen scheint die Diskussion noch lange nicht abgeschlossen: Eine britische Langzeitstudie, die über 36 Jahre 46.000 Frauen beobachtete, beurteilte die Pilleneinnahme insgesamt eher als gesundheitsfördernd als -schädigend, obwohl sich das Risiko für Tumore im Zentralnervensystem bei Langzeiteinnahme der Pille erhöhe. Insgesamt beruhigt Gynäkologe Leodolter dennoch: „Wir sehen kein statistisch signifikantes Brustkrebsrisiko, die Pille vermindert sogar nachweislich das Risiko für Gebärmutterkörper- oder Eierstockkrebs.“ An einer Pille, die das natürliche Östrogen Östradiol enthält, wird übrigens derzeit intensiv geforscht – sie lässt auf ein weiter verbessertes Risikoprofil hoffen.

Komplizierte Beipackzettel

Ob eine Frau letztlich das für sie beste Präparat wählt, hängt wohl auch von ihrem Informationsstand ab – genau an diesem Punkt setzen die Bedenken der Medizinsoziologin Sylvia Groth an. „Viele Frauen wissen nicht, was ihre Pille enthält und können negative Berichte daher schwer einordnen.“ Sie kritisiert auch die komplizierten Formulierungen auf Beipackzetteln, die oft „nur zur rechtlichen Absicherung, aber nicht als Hilfe für Frauen“ gedacht seien.

Noch ein Problemfeld beschreibt Groth, wenn man sie auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Pille anspricht: Sie habe zwar die Frage der Schwangerschaft geklärt – nicht aber jene eines selbstbestimmten weiblichen Lustlebens. „In Workshops in Schulen fällt uns immer noch auf, dass die Form der Sexualität oft von den Wünschen der Burschen abhängt. Da ist sicher noch Arbeit zu leisten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2010)

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