Wiener Bürgermeister von 1897 bis 1910: Karl Lueger (1844–1910).
Die Welt bis gestern

Karl Lueger, der Erfinder des Rechtspopulismus

Er war Antisemit und Modernisierer Wiens zugleich. Ein Liberaler, der zum Begründer der Christlichsozialen Partei wurde. Jedenfalls mehr Haider als Hitler. Über den Bürgermeister des Wiener Fin-de-siècle, Karl Lueger.

Zuletzt war wieder viel von Karl Lueger die Rede. Zuerst im Zuge der Denkmaldebatte im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung. Dann in einem aufsehenerregenden Posting des Schriftstellers Robert Menasse auf der Facebook-Seite von Wiens ÖVP-Chef, Gernot Blümel: Von einem „antisemitischen Bürgermeister, von dem Hitler lernte“ war da zu lesen, in jener Zeit vor dem Roten Wien, in die Blümel offenbar wieder zurückwolle.

Vor acht Jahren wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Wien in Universitätsring umbenannt. Die Diskussion über das Lueger-Denkmal auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz ist eine anhaltende. Die Statue, mit Graffiti beschmiert, ist derzeit eingezäunt.

Wenn von Karl Lueger die Rede ist, kreist das zumeist um die Pole Antisemit und innovativer Kommunalpolitiker. Wer also war Karl Lueger?
Karl Lueger war, wenn man so will, mehr Jörg Haider als Adolf Hitler. Ein Populist, ein Menschenfänger, der sich unter den sogenannten einfachen Menschen wohlfühlte, keine Scheu vor ihnen hatte, aber auch mit den Spitzen der Gesellschaft auf Augenhöhe verkehren konnte. Kein Gasthaus, keine Hochzeit, keine andere Festivität war vor ihm sicher. Und Lueger, der Volkstribun, wurde überall begeistert empfangen.
Nur vom Kaiser nicht. Denn Lueger, der talentierte Rhetoriker, war auch ein Demagoge. Dass er das Volk aufwiegelte, mit dem Antisemitismus spielte, auf die Ungarn losging, das missfiel Franz Joseph I. Vier Mal lehnte er Karl Lueger als Bürgermeister ab. Bis sich dann auch der Kaiser nicht zuletzt auf Druck des Papsts in das Unvermeidliche fügen musste: 1897 wurde Karl Lueger Wiener Bürgermeister.

Was Hitler dann auslöste, hatte Lueger gewiss nicht im Sinn. Er wollte die Juden nicht vernichten. Ressentiments gegen sie zu schüren war für ihn politisches Mittel zum Zweck, gewachsen auf jahrhundertelanger christlicher Judenfeindlichkeit und einer neuen antikapitalistischen Haltung. Die christlich-soziale Ideologie war aus einem Gegensatz zum Kapitalismus heraus entstanden. Und maßgebliche Vertreter des Kapitalismus und des mit diesem politisch verknüpften Liberalismus waren Juden.

„Nicht der Jude soll länger König sein, sondern Christus muss wieder in seine Herrschaft eingesetzt werden“, erklärte Lueger. Er selbst gab den Vertreter des ausgebeuteten kleinen Mannes, der Handwerker, der Kleingewerbetreibenden, all jener, die sich vom Glanz der Ringstraße ausgeschlossen fühlten – und es auch waren. Luegers Mittel war der Protektionismus. Auf christlicher Basis – in Abgrenzung zur sozialdemokratischen Bewegung.

Karl Lueger rühmte sich aber auch seiner zahlreichen jüdischen Freunde. Bezeichnend war der Satz: „Wer a Jud ist, bestimm i.“ Da kommt einem wieder Jörg Haider in den Sinn, der im Kärntner Unterland slowenische Lieder sang und mit slowenischen Bürgermeistern ein gutes Auskommen suchte. Gleich danach jedoch wieder zweisprachige Ortstafeln abschraubte.

„Als Bürgermeister von Wien von 1897 bis 1910 beherrschte Dr. Karl Lueger das öffentliche Leben so sehr, dass er nach Franz Joseph als der bekannteste Bürger der Stadt galt“, schrieb William M. Johnston in seiner „Österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte“. „Als Sohn eines Hausbesorgers der Technischen Universität hatte Lueger die Leiden der unteren Mittelschicht aus erster Hand kennengelernt.“ Das ist übrigens durchaus auch eine Parallele zur Gegenwart: Sebastian Kurz gelang es bei der Nationalratswahl 2019, in ein Wählersegment einzudringen, das der ÖVP lange Zeit weitgehend verschlossen geblieben war – die untere Mittelschicht.

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