Leitartikel

Donald Trump braucht ein Wunder, um die Wahl noch zu gewinnen

U.S. Präsident Donald Trump.
U.S. Präsident Donald Trump.REUTERS
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Der US-Präsident wird den Coronafluch bis zur Wahl am 3. November kaum abschütteln können. Er verkörpert nun die amerikanische Gesundheitskrise.

Verschwörungstheorien gedeihen dieser Tage in jedem Lager, auch in den scheinbar so gepflegten Meinungsgärten links der Mitte. In der Fatalismus-Abteilung der Weltgemeinde der eingefleischten Trump-Gegner kursierte nach der Quarantänemeldung aus dem Weißen Haus rasch eine besonders absurde Ferndiagnose: Der US-Präsident habe sich in Wirklichkeit gar nicht mit dem Coronavirus angesteckt; er täusche die Infektion bloß vor, um erst den Mitleidseffekt einzuheimsen, sich dann in die Superman-Pose des Covid-19-Bezwingers zu werfen oder Corona zur harmlosen Grippe zu erklären und so am Ende die Wahl am 3. November doch noch zu gewinnen.

Ja ja, ganz sicher, und die Ärzte rund um ihn fälschen täglich abwechselnd die Tests oder die Gesundheitsbulletins, und auf dem Mond war natürlich auch noch nie ein Mensch, alles Fake, alles nur erfunden. Da haben ein paar Schlaumeier zu viele Serien geschaut in letzter Zeit. Das ist einfach Humbug.

Für Donald Trump hätte es kaum schlimmer kommen können. Seine Kampagne ist lahmgelegt. Die Zeit läuft ihm davon. Das Coronavirus verhagelt Trump nun wahrscheinlich endgültig die Wiederwahl. In den vergangenen Wochen zog der Amtsinhaber alle Register, um die Pandemie kleinzureden und das Thema zu wechseln. Er wollte über Recht und Ordnung sprechen, über Unruhen, über sozialistische Gespenster und angebliche Wahlmanipulationen, über Erfolgsdaten vor der Krise und die Hoffnung auf eine rasche wirtschaftliche Erholung, über alles, nur nicht über Corona. Doch jetzt verkörpert er die Gesundheitskrise selbst. Das Covid-19-Debakel haftet stärker denn je an ihm. Kommunikationstechnisch ist das fatal: Trump konnte nicht einmal sich selbst vor Corona schützen, geschweige denn sein Land.

Mehr als 7,2 Millionen Amerikaner haben sich seit Ausbruch der Pandemie mit dem Virus angesteckt, mehr als 200.000 sind daran gestorben. Das ist eine Horrorbilanz. Und es bleibt ein schwacher Trost, dass auf die Einwohnerzahl umgerechnet San Marino, Peru, Belgien, Spanien oder Brasilien noch schlechter abschneiden. Die USA sind leider auch in der weltweiten Pro-Kopf-Statistik jener Staaten, die Corona bisher am härtesten getroffen hat, in den Top Ten. Und die Verantwortung dafür trägt letztlich auch Trump. Seine Regierung hat, ebenso übrigens wie die meisten von den US-Demokraten dominierten Bundesstaaten, kläglich dabei versagt, die Seuche einzudämmen.

Den infizierten Präsidenten holen nun all die sorglosen, fahrlässigen und schwachsinnigen Äußerungen ein, mit denen er das Virus aus der Welt twittern wollte: die Dankadresse an Chinas Staatspräsidenten, Xi Jinping, im Jänner, die wiederkehrenden Versicherungen, alles unter Kontrolle zu haben, den lebensgefährlich stupiden Vorschlag, sich Desinfektionsmittel spritzen zu lassen, die zur Schau gestellte Aversion gegen den Mund-Nasen-Schutz bis in den Mai hinein. Vor ein paar Tagen noch mokierte sich Trump bei der TV-Schlammschlacht mit Joe Biden darüber, dass sein Konkurrent viel zu große Masken trage. Das alles wirkt nun weniger lustig. Sollte sich auch noch herausstellen, dass der Präsident am Donnerstag, als seine Beraterin Hope Hicks bereits Coronasymptome hatte, in seinem Golfklub fröhlich Teilnehmer einer Spendengala ansteckte, anstatt vorsichtshalber zu Hause zu bleiben, wäre das Fiasko perfekt.

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