Gastland Kanada

Kanada und die Stunde der "First Nation"

Der Québecer Autor Éric Plamondon begeistert wortgewaltig mit „Taqawan“.
Der Québecer Autor Éric Plamondon begeistert wortgewaltig mit „Taqawan“.(c) Privat/Lenos Verlag
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Der physische Auftritt des Gastlandes bei der Frankfurter Buchmesse fällt 2020 aus. Doch die Romane sind da – und in denen spielt die indigene Bevölkerung eine Hauptrolle.

Corona kennt kein Pardon. Nach dem Dominoprinzip purzeln die Großveranstaltungen oder müssen zumindest adaptiert werden. So auch die Frankfurter Buchmesse, bei der der physische Auftritt des diesjährigen Gastlandes Kanada auf 2021 verschoben wurde. Schade, denn viele kanadische Romane sind gerade auf Deutsch erschienen – viele davon ausgezeichnet und viele mit Hauptdarstellern aus der indigenen Bevölkerung. Ihre Präsenz soll einerseits – ganz aktuell – an einen sorgsameren Umgang mit der Natur erinnern. Die zusätzliche Spannung, die sich aus dem gebrochenen Verhältnis der ursprünglichen Einwohner zur modernen Gesellschaft ergibt, eignet sich aber auch gut für Krimis.

Aus den Neuerscheinungen sticht „Taqawan“ besonders hervor. Éric Plamondon erzählt in seinem eindringlichen, gerade einmal 200 Seiten dünnen, inhaltlich aber fast epischen Roman vom Lachskrieg, der 1981 im kanadischen Québec zwischen der Polizei und den seit Jahrtausenden dort lebenden Mi'gmaq tobte. Er tut das aus mehreren Blickwinkeln – aus Sicht der Mi'gmaq, der Québecer sowie einer Französin aus Europa – und mit vielen historischen Einschüben. „Taqawan“ (die Bezeichnung für einen Lachs, der erstmals in den Fluss seiner Geburt zurückkehrt) liest sich wie eine kurze Geschichte Kanadas, mit allen Folgen und Problemen, die bis heute nachwirken.

Der Kampf um den Lachs. Tausende Jahre lebten die Mi'gmaq – Nomaden, die über die Beringstraße nach Amerika kamen – vom Lachsfang. Sie befolgten dabei eine Weisheit: „Wenn man in einem Jahr zu viele Fische fängt, gibt es im Folgejahr weniger. Wenn man jahrelang zu viele Fische fängt, gibt es irgendwann gar keine mehr.“ Doch dann kamen vor rund 500 Jahren die Europäer, und der Fischfang wurde Regeln unterworfen. Während im Westen dem weißen Mann die Ausrottung der Indianer durch die Ausrottung der Bisons gelang, waren es im Osten die Lachse. „Man fischte mit Hilfe von Staudämmen, Reusen und Netzen, bis die Bestände erschöpft waren.“

Wortgewandt offenbart Plamondon die Widersprüche, die sich in Québec auftun, macht die täglichen Ungerechtigkeiten und Parallelwelten in der Gesellschaft spürbar. Wenn Kanada ergriffen Céline Dions Song „Ce n'était qu'un rêve“ („Es war bloß ein Traum“) lauscht, müssen die Mi'gmaq, die gegen den Entzug der Lachs-Fischrechte kämpfen, ernüchtert zur Kenntnis nehmen: „Es ist nicht bloß ein Traum.“

Diese Diskriminierung besteht aus vielen kleinen Puzzlestücken. Was macht es zum Beispiel mit Menschen, wenn sie jahrhundertelang als „Wilde“ bezeichnet wurden? Während sich die nach Unabhängigkeit strebenden Québecer selbst von Kanada unterdrückt fühlen, fehlt ihnen selbst jegliches Verständnis für die Situation der Mi'gmaq. Wie diffus die Lage ist, zeigt sich, als die in Kanada unterrichtende französische Lehrerin Caroline den Einheimischen Yves fragt: „Und warum will die Québecer Regierung den Indianern dann nicht zugestehen, was sie selbst von der kanadischen Regierung fordert? Warum will man das Recht auf französische Kultur und Sprache in Québec innerhalb Kanadas, aber kein Recht auf Kultur und Sprache der Mi'gmaq innerhalb Québecs?“

Starlight und DreadfulWater. Ähnlich kompliziert verläuft die Reise des 16-jährigen Franklin Starlight in Richard Wagameses „Das weite Herz des Landes“. Sein ihm entfremdeter und vom Alkohol gezeichneter Vater Eldon will in British Columbia nach dem Ritus seines Volkes beerdigt werden. Es soll eine lehrreiche Erfahrung für Vater und Sohn werden.
Literarisch geradliniger geht es in Thomas Kings „Dunkle Wolken über Alberta“ zu. Hier wird der indigene Ermittler DreadfulWater nach einem Mord an einem Umweltschützer zugezogen. Plamondon bringt es in „Taqawan“ auf den Punkt: „Alle (. . .) haben Indianerblut. Entweder in den Adern oder an den Händen.“

Neu erschienen

Éric Plamondon
Taqawan
übersetzt von Anne Thomas
Lenos Verlag, 200 Seiten, 22,70 Euro

Thomas King
Dunkle Wolken über Alberta
übersetzt von Leena Flegler
Pendo Verlag, 448 Seiten, 16,50 Euro

Richard Wagamese
Das weite Herz des Landes
übersetzt von Ingo Herzke
Blessing Verlag, 288 Seiten, 22,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2020)

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