Kärntner Volksabstimmung 1920
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Kärnten

Kärnten, „wo man mit Blut die Grenze schrieb...“

Vor genau 100 Jahren stimmte die Bevölkerung Südkärntens für Österreich. Über die historischen Ereignisse, Mythenbildung und die politische Instrumentalisierung der Geschichte.

Nach dem Ersten Weltkrieg fanden in Europa fünf Volksabstimmungen statt, in denen es um die künftige Grenzziehung ging. Vier sind praktisch in Vergessenheit geraten. Die fünfte, jene in Kärnten, wird jetzt drei Tage lang gefeiert. Die Volksabstimmung und eng damit verbunden die slowenische Volksgruppe sind ein Thema, das in Kärnten seit 100 Jahren dominant ist, emotionalisiert, das für starre Fronten sorgt – auch wenn das in den vergangenen Jahren nicht mehr ganz so ausgeprägt war.

Wie kam es dazu? Da muss man etwas weiter ausholen: Die Volksabstimmung ist kein singuläres Ereignis, sie hat eine Vorgeschichte – und vor allem eine Nachgeschichte.

Habsburgermonarchie

Ein Viertel bis ein Drittel der Kärntner in der Habsburgermonarchie sprach Slowenisch – was aber lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle spielte. Erst mit dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert wurde Sprache plötzlich zum entscheidenden politischen Merkmal – und Südkärnten zum nationalen Kampfgebiet. Eigentlich waren es zwei politische Ideen, die einander gegenüberstanden: Der deutsche Liberalismus und eine bäuerlich-klerikale slowenische Bewegung.

In den Gemeinden entwickelte sich ein reges politsches Leben: Vereine, Genossenschaften, Parteien wurden auf deutscher und slowenischer Seite gegründet. Typischerweise waren die zentralen Figuren in der Gemeinde der deutsche Lehrer und der slowenische Pfarrer.

Schon damals herrschte ein Ungleichgewicht: Auf der einen Seite die konservative kleinbäuerliche slowenische Bewegung, auf der deutschen Seite jene, die für Fortschritt und sozialen Aufstieg standen. Ziel der deutschen Seite war es, ein national homogenes Gebiet zu schaffen. Kärnten sollte deutsch werden. Das war angesichts der sprachlichen Verhältnisse ein Langzeitprojekt – wichtig waren aber die alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählungen, die teilweise zu Kampfabstimmungen wurden – weniger über den Sprachgebrauch, sondern über die politische Einstellung.

Volksabstimmung

Wohin sollten sich Südkärntner nach Zerfall der Habsburgermonarchie orientieren? Wie viele Slowenen gab es da überhaupt? Und würden diese sich im Sinne einer nationalen Vereinigung zum SHS-Staat, dem Staat der Serben, Kroaten und Slowenen bekennen? Oder im Sinne der Landeseinheit zu Kärnten und zu Österreich?

Die Frage nach der Stärke der Volksgruppe ist nicht so einfach zu beantworten. Wer ist überhaupt Slowene? Zweisprachig waren wohl die meisten, die in der Abstimmungszone lebten, auch wenn sie bei der Volkszählung Deutsch angegeben hatten. Ist das entscheidende Kriterium die überwiegende Umgangssprache? Die Muttersprache? Oder das politische Bekenntnis, die Wahl, sich einer der Volksgruppen anzuschließen?

59 Prozent der Südkärntner votierten am 10. Oktober 1920 mit dem grünen Stimmzettel für Österreich.
59 Prozent der Südkärntner votierten am 10. Oktober 1920 mit dem grünen Stimmzettel für Österreich.Straberger Velden / ÖNB-Bildarch

Die Entscheidung zwischen dem nationalen Prinzip und dem Kärntner Landesbewusstsein spaltete die slowenischsprachige Bevölkerung. Letztlich dürften aber wirtschaftliche Gründe den Ausschlag gegeben haben, wie Untersuchungen zeigen. Die Absatzmärkte Klagenfurt und Villach waren viel leichter zu erreichen, als das durch die Karawanken getrennte Laibach. 59 Prozent der Bevölkerung in der Abstimmungszone stimmten für Österreich, darunter viele, die bei der Volkszählung 1910 Slowenisch als Umgangssprache angegeben hatten.

Erste Republik

Kurz vor der Volksabstimmung hatte die Kärntner Landesversammlung das Versprechen abgegeben, dass die Kärntner Slowenen ihre nationale Eigenart „jetzt und alle Zeit“ wahren können. Davon war danach keine Rede mehr. Österreich war als deutscher Nationalstaat gegründet worden, die slowenische Minderheit wurde als Fremdkörper betrachtet, ihre Anführer als „Irredentisten“ gebrandmarkt, die Südkärnten von Österreich abtrennen wollten.

Im Landtag dominierten ab 1923 deutschnationale Parteien, mit dem „Heimatbund“ entstand eine antislowenische Organisation, die die Volkstumspolitik dominierte. Für Minderheitenrechte blieb da wenig Raum. In dieser Zeit wurden die Volksabstimmung, mehr aber noch der „Abwehrkampf“ zum Mythos hochstilisiert und für die politische Auseinandersetzung instrumentalisiert. Die Kämpfe 1918 und im Frühjahr 1919 hatten zweifellos ihre Bedeutung – aber dass man „mit Blut die Grenze schrieb“, wie es in der Kärntner Landeshymne heißt, ist Produkt jener Mythologisierung, die bis heute fortwirkt. Aus dieser Zeit stammt auch das völkische Konstrukt der „Windischen“.

Der Kärntner Landeshistoriker Martin Wutte verwendete den für Slowenen schon länger gebräuchlichen Begriff Windisch, um eine neue Volksgruppe zu kreieren: Die Windischen würden den Deutschen näher stehen als den Slowenen und auch eine Mischsprache sprechen. Die Theorie war für jene gedacht, die Slowenisch sprachen, aber deutschfreundlich waren, und entspringt dem Denken der damaligen Zeit: Nationales Handeln war als moralisch hochwertig angesehen, als Slowene konnte man nicht gut für die Deutschen sein. Windisch wurde ihnen als Zwischenkategorie angeboten, das Ziel war dann ohnehin die Assimilierung.

NS-Zeit

Mit dem Einmarsch Hitlers verschlechterte sich die Lage der Slowenen abermals: Eindeutschung war nun die offizielle Doktrin. Zahlreiche Slowenen wurden verfolgt und ermordet, viele Familien ausgesiedelt. Auch etliche, die zuvor im Heimatbund Volkstumspolitik betrieben hatten, spielten da eine Rolle. Als Reaktion schlossen sich etliche Kärntner Slowenen Titos Partisanen an. Nach 1945 wurde das den Slowenen vorgehalten: Schon zum zweiten Mal habe sich Jugoslawien einen Teil Kärntens einverleiben wollen, und das könne wieder geschehen. „Kärntner Urangst“ wurde das genannt.

Zweite Republik

Nach 1945 sorgte die britische Besatzungsmacht dafür, dass Minderheitenrechte erstmals ernst genommen wurden. In Südkärnten wurde an den Schulen zweisprachig unterrichtet. Und im Staatsvertrag wurden die slowenische Amtssprache und zweisprachige Ortstafeln zugesichert.

Nach Abzug der Besatzungstruppen waren bald wieder die alten im Volkstumskampf erprobten Kräfte am Werk, und die entsorgten als erstes den zweisprachigen Unterricht. Dass in einer massiven Kampagne im Jahr 1958 für die Abmeldung vom zweisprachigen Unterricht geworben wurde, ist eines der einschneidenden Ereignisse in der Geschichte der slowenischen Minderheit: Die überwältigende Mehrheit der Kinder wurde abgemeldet, in der Folge fand in den Gemeinden auch tatsächlich ein Wechsel der Umgangssprache statt. Südkärnten wurde zunehmend deutsch.

In den 70er-Jahren eskalierte der Minderheitenkonflikt mit dem Ortstafelsturm. Die von der Regierung Kreisky aufgestellten Ortstafeln wurden weggefegt. Die Eskalation hatte mehrere Ursachen. Erstens: Das slowenische Gymnasium in Klagenfurt sorgte dafür, dass eine gut ausgebildete und selbstbewusste Generation nachrückte und die Anliegen der Volksgruppe offensiv vertrat. Zweitens ein psychologischer Faktor: In den vergangenen Jahrzehnten hatte eine ganze Generation die Sprache gewechselt. Ein Vorgang, der zu massiven Identitätsproblemen führte und für viele nur lösbar war, indem sie das Slowenische mit einer Emotionalität abwehrten, die für Außenstehende schwer begreifbar ist. Und drittens: Der Jugoslawische Geheimdienst mischte mit. Auf dessen Konto gingen etliche Sprengstoffanschläge, die den Konflikt weiter anheizten.

Heute, hundert Jahre nach der Volksabstimmung, hat sich der Konflikt weitgehend beruhigt, auch wenn einzelne Ausläufer immer noch aufpoppen. Aber die große Emotionalität in der Debatte hat sich verflüchtigt. Die „Urangst“ lässt sich schwer argumentieren, wenn man es nicht mehr mit Jugoslawien, sondern mit Slowenien als Nachbarland zu tun hat. Die slowenische Volksgruppe ist klein geworden, aber die Aversion gegen das Slowenische ist geringer geworden. Heute schicken viele deutschsprachige Eltern ihre Kinder in den zweisprachigen Unterricht – und bedauern, selbst nicht Slowenisch gelernt zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2020)


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