Berichte über aserbaidschanischen Großangriff und gescheiterten Vermittlungsversuch Frankreichs.
Größere Verbände aserbaidschanischer Truppen haben am Samstag offenbar einen Angriff in der Konfliktregion Berg-Karabach gestartet. Sie gingen armenischen Angaben zufolge von Norden und Süden in dem Gebiet vor, das etwas größer ist als das Burgenland und schätzungsweise 140.000 Einwohner hat. Mehrere Kampfflugzeuge und/oder Hubschrauber der Aseris seien abgeschossen worden, heißt es von der armenischen Seite. Das konnte bisher nicht bestätigt werden.
Die seit einer Woche währenden Kämpfe sind die schwersten zwischen den zwei Ex-Sowjetrepubliken seit vielen Jahren und haben durchaus das Ausmaß eines offenen Krieges zwischen dem christlichen Armenien und dem muslimischen Aserbaidschan. Es soll mehrere Hundert Gefallene sowie getötete Zivilisten geben. Berg-Karabach ist eine Enklave in Aserbaidschan und wird samt ihrem nahen Umland von Armenien kontrolliert.
Frankreich versuchte in den vergangenen Tagen gemeinsam mit Russland und den USA, einen Waffenstillstand zu erwirken. Versuche vor allem der Franzosen, direkte und sofortige Friedensgespräche zu bewerkstelligen, dürften unterdessen am Samstag vorerst gescheitert sein.
Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, hatte zuvor mit dem Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Aliyew, und dem armenischen Premier, Nikol Paschinjan, telefoniert. Aliyew sagte demnach, seine Streitkräfte hätten bisher bloß armenisch okkupiertes Gebiet eingenommen. Zugleich warf er dem Nachbarland vor, die Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts zu behindern.
Der „Präsident“ des international nicht anerkannten „Staates“ Berg-Karabach, Araik Haratjunjan, traf sich nach eigenen Angaben in der Nacht auf Samstag mit Soldaten. Dabei sei er auch an die Front gegangen, berichteten armenische Medien. Dort werde er „mehr gebraucht als hinten“, sagte Harutjunjan demnach.
Berichte über Söldner aus Syrien. Die Lage ist insofern extrem brisant, als auch die regionalen Nachbarn Russland, die Türkei und der Iran hineingezogen werden bzw. bereits aktiv mitmischen könnten. Überdies wollen Russland und Frankreich, die Armenien unterstützen, Beweise haben, dass die Türken islamistische Söldner aus Libyen und Syrien zur Unterstützung Aserbaidschans herbeigeschafft haben. Damit würde der Konflikt, aber auch die Gefahr des islamistischen Vordringens, eine neue Dimension erreichen.
Der Iran wiederum ist ethnisch und religiös zwar eng mit Aserbaidschan verwandt, doch sind aus verschiedensten Gründen die Beziehungen heikel; Teheran ist eher den Armeniern zugetan und hat zuletzt Vermittlung angeboten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2020)