Landestheater Niederösterreich

Kolumbus entdeckt Amerika nicht

Sturm! Wut und Angst vor dem Untergang treiben die Matrosen zur Meuterei gegen Kolumbus an.
Sturm! Wut und Angst vor dem Untergang treiben die Matrosen zur Meuterei gegen Kolumbus an.Alexi Pelekanos
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Eine lohnende Ausgrabung hätte das Stück von Miroslav Krleža sein können, das gelang nicht. Die Aufführung wirkt eher redundant.

Die Idee ist reizvoll: Was wäre gewesen, wenn Kolumbus Amerika nicht entdeckt hätte, nicht entdecken hätte wollen? Kein Genozid an Indianern und Indios, keine Zerstörung alter Kulturen und der Natur, keine Ausbeutung von Bodenschätzen – und Donald Trump hätte es auch nicht gegeben. Das ist natürlich nicht ernst gemeint: Ein anderer als Kolumbus hätte Amerika gefunden, das ja in Wahrheit 1492 schon entdeckt war: Von Bewohnern Nordostasiens, die die Beringstraße überquert hatten – und vom Isländer Leif Eriksson.

Vielen gilt Kolumbus' Landung in der Neuen Welt heute nicht mehr als Anlass, Jubiläen zu feiern, man spricht von Invasion, Krieg und Genozid. Es ist interessant, das alles nachzulesen, denn bei „Christoph Kolumbus“ vom kroatischen Schriftsteller Miroslav Krleža, seit Samstag im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten zu sehen, wird man darüber nicht viel erfahren: 75 Minuten lang wird in verschiedenen Sprachen gesungen und gebrüllt. Rene Medvešek hat inszeniert. Dachte er an griechische Chöre?

Griechen und Kroaten verbindet die Seefahrt, die freilich für Admirale, Kapitäne und Forscher anders aussah als für Matrosen und andere den Sklaven ähnlich gehaltene Hilfskräfte. Diese konnten oft nicht schwimmen, damit sie, wenn sie über Bord gingen, schnell starben. Gegen die unzähligen großartigen Filme über die Seefahrt anzukämpfen, fällt dem Theater schwer, von „Der Sturm“ (mit George Clooney) bis zur „Meuterei auf der Bounty“. Aber Medvešek, der mit Tanja Lacko auch das Bühnenbild entworfen hat, ist ein großartiges Anfangsbild eingefallen: Ein Windjammer jammert im Wind, von einem Matrosen zum anderen wird die Replik weiter gereicht. Die Faszination, die von der Mannschaft ausgeht, die vor Angst außer sich ist, hat sich dann allerdings bald verbraucht. Obwohl das aus Männern und Frauen bestehende Ensemble den Text sorgfältig einstudiert hat, wirken die Schmähreden einigermaßen redundant.

Tim Breyvogel beeindruckt

Der Admiral studiert meist in seiner Kabine. Um Kolumbus ranken sich viele Legenden, war er Jude, Italiener oder stammte er aus einer Kartografenfamilie auf Mallorca?

Weißes Haar soll sein Haupt umflattert haben, heute gilt als gesichert, dass er sich als treuer Diener der spanischen Krone sehr wohl am Feldzug gegen die Karibik-Ureinwohner beteiligte. Tim Breyvogel spielt Kolumbus eindrucksvoll. Freilich scheint der Admiral, dessen blaue Augen seherisch in die Ferne schweifen und niemals zu den „Affen“ unter Deck, so eine Art Althippie zu sein. Sein Gefolge klagt er an, nur Schwerter, Kreuze und die Inquisition auf den neuen Kontinent zu bringen, wie wahr.

Diktatorisch verlangt der Kapitän die „Nimmerwiederkehr“, sprich immer weiter zu reisen: „Alles Irdische ist faul“, ruft er, „blass von Gesichten“ wie es bei Brecht heißt. Jetzt reicht es den Matrosen aber, sie stopfen ihrem irren Chef das Maul.

Im Programmheft ist ein interessantes Gespräch über Krležas Schaffen und seine Gedanken zu Oststaaten als oft verheerte Pufferzone für Europa abgedruckt, ferner ein düsterer Essay des kroatischen Nationaldichters. In seinem Stück allerdings wiederholt sich allzu viel Bekanntes aus dem Zeitalter der europäischen Expansion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2020)

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