Genetik der Epidemie

Neandertaler-DNA macht anfälliger für Corona

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Ein Abschnitt auf dem dritten Chromosom, den Homo sapiens vom Neandertaler übernommen hat, korreliert mit schweren Covid-19-Verläufen. Das könnte auch erklären, warum Afrika vergleichsweise weniger an der Pandemie leidet als Europa.

Covid-19 ist eine globale Pandemie, das ist klar. Aber warum wütet sie in manchen Weltgegenden wilder als in anderen? Warum ist gerade das medizinisch so gut ausgerüstete Europa so stark betroffen? Warum kommen die ostasiatischen Länder vergleichsweise glimpflich davon? Warum ist die prophezeite Covid-Katastrophe in Afrika ausgeblieben?

Gewiss, Letzteres mag zum Teil an der jüngeren Bevölkerung in Afrika liegen. Und natürlich drängt sich unterschiedliches Geschick der Regierungen im Umgang mit dem Virus oft als Erklärungsmuster auf. Gern werden auch unterschiedliche „Mentalitäten“ angeführt. Aber kann die angeblich so große Disziplin der Bevölkerung wirklich allein die fantastisch niedrigen Ansteckungs- und Todesraten in Südkorea erklären? Eine nun in „Nature“ (3. 7.) erschienene Publikation legt eine andere – gewiss auch nicht allein gültige – Erklärung solcher Unterschiede nahe: eine genetische.

Einfluss der Blutgruppe fraglich

Gibt es Abschnitte im Genom, die in mehreren Varianten vorkommen, wobei eine Variante häufiger bei Corona-Patienten mit schwerem Verlauf ist als bei solchen mit leichtem? Ja, berichteten Forscher um David Ellinghaus schon im Juni im „New England Journal of Medicine“: und zwar einen Abschnitt auf dem Chromosom drei, der sechs Gene enthält; und eine Region auf dem Chromosom neun, die festlegt, welche Blutgruppe ein Mensch hat. Dass die Blutgruppe den Verlauf einer Infektion beeinflussen soll – wobei die Blutgruppe null am günstigsten sein soll –, das klang spannend, doch laut Hugo Zeberg und Svante Pääbo, den Autoren der neuen „Nature“-Arbeit, hat sich das in weiteren Analysen nicht erhärten lassen.

Bleibt der Abschnitt auf dem dritten Chromosom. Und den untersuchten Zeberg und Pääbo auf etwas, wofür sie Spezialisten sind. Nämlich für Gen-Varianten, die von Neandertalern stammen, die sich im Lauf von deren mehr oder weniger isolierter Evolution in Europa und Asien durchgesetzt haben – und dann, als Homo sapiens aus Afrika gekommen war, in dessen Genpool wanderten.

Besonders häufig in Bangladesch

Genau das trifft offenbar auf jene Varianten dieses Abschnitts zu, die mit schwereren Covid-Verläufen korrelieren. Entsprechend kommen diese Varianten in Zentralafrika fast nie vor, in Ostasien sind sie sehr selten, in Südasien kommen sie bei 30 Prozent der Bevölkerung vor, in Europa bei acht Prozent. Am häufigsten sind sie in Bangladesch, dort haben sie 63 Prozent zumindest auf einem der beiden Chromosomen Nummer drei, 13 Prozent sogar auf beiden. „Das passt ganz offensichtlich gut zu der Tatsache, dass in Großbritannien aus Bangladesch stammende Menschen ungefähr doppelt so häufig an Covid-19 sterben als der Rest der Bevölkerung“, schreiben Zeberg und Pääbo.

Woran liegt diese ungleichmäßige Verteilung? Nun, Neandertaler sind höchstwahrscheinlich nie nach Afrika gekommen, haben dort zumindest keine Gene hinterlassen, das ist bekannt. Aber dass die Genvarianten, die schwere Covid-Verläufe begünstigen, just in Südasien so häufig vorkommen, liegt wohl daran, dass sie dort seit der Ära der (sexuellen) Begegnungen mit Neandertalern positiver Selektion unterlagen, also irgendeinen Vorteil geboten haben müssen. Was für ein Vorteil das gewesen sein könnte, liegt nahe: bessere Abwehr gegen irgendeine Krankheit. Das ist ja überhaupt einer der wichtigsten treibenden Faktoren in der Evolution.

Überschießende Immunabwehr

Das heißt jedenfalls: Die Gene auf dem Abschnitt haben wohl etwas mit dem Immunsystem zu tun. (Wer sich darüber wundert, dass die Forscher diese Gene zumindest bisher nicht genau kennen, hat wohl den PR-Sprüchen der Genetiker, dass das Genom jetzt aber endgültig bekannt sei, zu viel Glauben geschenkt.) Gen-Varianten, die das Immunsystem schlagkräftiger machen, haben aber immer auch einen Nachteil: Die allzu kräftige Immunabwehr kann sich gegen das eigene Gewebe richten – das ist der Fall bei den heute grassierenden Autoimmunkrankheiten -, und sie kann überreagieren, einen eigentlich gar nicht so argen Erreger zu heftig bekämpfen. Genau dürfte der Grund für viele, wenn nicht die meisten schweren Verläufe einer Covid-19-Infektion sein: Das Immunssystem läuft Amok. So sind Gen-Varianten, die den Neandertalern halfen, mit heute längst vergessenen Krankheiten fertig zu werden, daran schuld, dass Covid-19 manche von uns besonders heftig trifft. Zeberg und Pääbo drücken es geradezu theatralisch aus: „Der Genfluss von Neandertalern hat tragische Konsequenzen.“

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