Abenteuer in Brüssels Politikarena

WDR/Jo Voets
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Die französisch-belgisch-deutsche Fernsehserie „Parlement" folgt geistreich und urkomisch einem jungen Assistenten durch die Untiefen des Europäischen Parlaments.

Kann man die Europäische Union in ein unterhaltsames Format fassen? Die bisweilen byzantinisch anmutenden Vorgänge in der Brüsseler Politikmaschinerie als Fernsehserie fiktionalisieren? Und wenn man das versucht: Muss man dann zwangsläufig Partei ergreifen? „In Brüssel hört dich niemand schreien“, lautet eines der scharfsinnigsten Zitate aus der dänischen Erfolgsserie „Borgen“, und es richtete sich an einen Politiker, der mit dem Gedanken spielt, EU-Kommissar zu werden.

All diese Fragen freilich bekümmern den jungen Franzosen Samy (Xavier Lacaille) nicht, als er in der ersten Folge der neuen Serie „Parlement“ (ab 6. Oktober dienstags um 20:15 Uhr auf One, dem digitalen Spartensender der ARD) verzweifelt das Büro seines Abgeordneten im Europaparlament sucht. Mit ebenso großem Enthusiasmus wie tiefer Naivität tritt Samy seinen neuen Job als parlamentarischer Assistent an. Rasch fällt ihm sein erster Auftrag zu: Er soll einen Bericht des Parlaments vorbereiten, der das „Finning“, also das Abschneiden der Flossen lebender Haie, unter Verbot stellt.

Brexit Party zu französischem Chansonbombast

Die Wendungen dieses Vorhabens führen Samy im Laufe der zehn Folgen der ersten Staffel in die Hände eines italienischen Fischereilobbyisten, einer schwedischen Venusfalle mit Nazischlagseite und in die Intrigen von Ingeborg, einer mysteriösen deutschen Mitarbeiterin des Parlaments, in ihrer eisköniginnenhaften Härte brillant von Christiane Paul dargestellt.

Der hin- und hergebeutelte Samy findet allerdings auch Freunde: Rose, die als Assistentin einer Brexit-Party-Abgeordneten nach erfolgtem EU-Austritt eigentlich schon auf gepackten Koffern sitzt, sowie Torsten alias „Toto“, den leicht verblasenen deutschen Mitarbeiter der intriganten Ingeborg. Man möchte nicht zu viel verraten, doch allein schon die Eröffnungsszene, die in Zeitlupe schwer illuminierte Brexit-Party-Mandatare bei einer Bürofeier zeigt, untermalt von Mike Brants Chansonbombast „C'est comme ça que je t'aime“, ist zum Schreien komisch.

Insiderwitz für „Borgen"-Fans

Der Wiener Lucas Englander verkörpert Toto. Die Beschäftigung mit dieser Rolle hat auch seinen Blick auf die EU und die Politik geschärft. „Wir können nicht mehr unpolitisch sein", sagt er im Gespräch mit der „Presse". „Unsere heutigen Probleme in der Politik liegen darin, dass wir uns nicht ausreichend engagieren."

Die Serie hätte fast nicht das Licht der Welt erblickt, erklärt Thomas Saignes von der Produktionsfirma Cinétélé. Canal+ entwickelte sie ursprünglich, doch nach dem Brexit-Referendum ließ der Sender davon ab. „Wir sagten uns: Perfekt, das macht die Thematik doppelt so interessant." Arte ließ später ebenfalls die Finger davon: aus Angst, hier würde ein EU-skeptisches Narrativ gesponnen. „Wir mussten für die Dreherlaubnis das Europaparlament erst überzeugen, dass wir kein Eurobashing beabsichtigen, sondern mit viel Liebe zur Institution und ihrer Geschichte arbeiten – aber auch zeigen, was nicht rund läuft."

Apropos „Borgen": Dessen Hauptdarstellerin, Sidse Babett Knudsen, spielt in einer Folge die dänische EU-Kommissarin, ganz klar an deren reales Vorbild Margrethe Vestager angelehnt – die wiederum als Inspiration für Knudsens „Borgen“-Charakter gedient hatte. Die echte Vestager hätte in einem Cameo-Auftritt Knudsen im Lift mit den Worten „Kennen wir uns nicht?“ treffen sollen. Zu diesem ultimativen Brüssel-Politik-Insiderwitz kam es nach Bedenken der Kommission dann doch nicht.

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