Nachruf

Autorin und Germanistin Ruth Klüger gestorben

Ruth Klüger: nicht nur unbestechlich, sondern auch verbindlich und freundlich.
Ruth Klüger: nicht nur unbestechlich, sondern auch verbindlich und freundlich.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie wurde als Elfjährige deportiert und überlebte Auschwitz. Nun starb Ruth Klüger, die Autorin von „weiter leben“ und „unterwegs verloren“, im Alter von 88 Jahren.

Sie galt als "unsentimental und unbestechlich", ihre Haltung zur Nazivergangenheit Deutschlands und Österreichs war eindeutig. Für die in Wien geborene und 1947 in die USA emigrierte Ruth Klüger gab es kein Verzeihen. Die jüdisch-amerikanische Holocaustüberlebende hat erst im Alter die große Öffentlichkeit gesucht und gefunden. Sie verstarb in der Nacht auf Dienstag in Kalifornien.

"Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung", sagte Klüger einmal. Und, im Interview mit der „Presse": "Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist." Zu groß waren die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um von den Nazis getötete Menschen. Nach der Jahrtausendwende war Klüger wieder häufiger in Wien zu sehen, wo sie auch eine Gastprofessur hatte. Mit Studenten diskutierte sie gern und ausführlich, ließ sie mehr ihre Weisheit, die Liebe zu Sprache und Literatur spüren als Zorn. Und fragte danach, ob Frauen anders lesen als Männer.

Sie dichtete in Auschwitz

Klüger wurde am 30. Oktober 1931 geboren, als Elfjährige deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt. Die Gefangenschaft hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt. Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie in Auschwitz: "Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein." Auf einem Todesmarsch von Lager zu Lager gelang ihr mit ihrer Mutter die Flucht kurz vor Kriegsende.

Nach dem Krieg lebten beide zunächst in Straubing in Bayern, wo Klüger Abitur machte und mit 15 Jahren zu studieren begann. 1947 emigrierten sie in die USA. In New York und in Berkeley studierte Klüger Germanistik, wurde Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Jahrzehnte lang hat Ruth Klüger nur als Wissenschafterin publiziert. Erst als sie Ende der 1980er-Jahre bei einem Verkehrsunfall in Göttingen lebensgefährlich verletzt wurde, begann sie, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben.

„weiter leben“ und „unterwegs verloren"

"weiter leben - eine Jugend" wurde der erfolgreiche Start einer späten Karriere als Literatin. In der 1992 veröffentlichten Biografie (2008 als Gratisbuch in Wien verteilt) schildert sie ihre Kindheit in Wien, ihre Jugend in den Konzentrationslagern und die Nachkriegszeit in Bayern, in "unterwegs verloren" (2008) ihre Lebensgeschichte nach der Emigration in den USA. Zu den bekanntesten weiteren Werken Klügers zählen "Frauen lesen anders" (1996), "Katastrophen. Über deutsche Literatur" (1997) und "Was Frauen schreiben" (2010). Unter dem Titel "Zerreißproben" (2013) versammelte sie erstmals ihre seit 1944 entstandenen Gedichte. Zuletzt erschien 2018 im Zsolnay Verlag "Gegenwind. Gedichte und Interpretationen".

Die Fiktion ist nicht ihr Genre. "Ich hab's mehrmals versucht, aber ich kann keine G'schichterln erzählen. Es ist ein ganz besonderes Talent, und je öfter ich es versuche, desto mehr bewundere ich die Romanciers und Geschichtenschreiber", umschrieb sie ihre Vorliebe fürs Autobiografische und Sachliche. Dass sie bei ihren Reden als "Holocaustüberlebende" vorgestellt wird, störte sie nicht. Was sie störte, war das aus ihrer Sicht sprachlich schiefe Bild des berühmten Brecht-Zitats "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" über die Gefahr einer wiederaufkommenden Barbarei. Der Faschismus sei Männersache gewesen. "Die Machthaber waren alles Männer. Deswegen soll man nicht von einem Schoß sprechen. Die Metapher stört die Germanistin."

>> Interview mit Ruth Klüger: „Ressentiments sind etwas sehr Gutes“ [premium]

(APA/red.)

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„Ich meine, Autobiografie hat die Funktion einer Zeugenaussage, und von den Zeugen eines Unfalls erwartet die Polizei, dass sie Gesehenes und Imaginiertes auseinanderhalten können.“ Die Kunst der Ruth Klüger: zum 80. Geburtstag.

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