Reich gegen Arm

Nettozahler versus Nettoempfänger

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Fast 40 Milliarden Euro werden jährlich in ärmere EU-Länder transferiert. Ein Spannungsfeld um wirtschaftlichen Erfolg.

Brüssel/Wien. Die Front zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern in der EU ist nicht neu. Sie besteht schon viele Jahrzehnte, hat sich allerdings verschoben. Einst war sie eine zwischen den nördlichen Industrienationen und den südlichen Agrar- und Fischereinationen. Noch Anfang der 2000er-Jahre floß das meiste EU-Geld nach Spanien, Portugal und Griechenland. Auch Irland profitierte damals überproportional viel. Heute ist es eine Frontlinie, die zwischen reicheren Ländern im Westen und ärmeren im Osten und Süden verläuft.

Obwohl sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam zum Ziel gesetzt haben, die wirtschaftliche Entwicklung in ärmeren europäischen Ländern zu fördern, blieb die Umschichtung stets ein politisches Spannungsfeld. Dass letztlich alle Mitgliedstaaten von einer gesunden Entwicklung ihrer Partnerländer profitieren, wurde in den öffentlichen Debatten zu diesem Thema kaum berücksichtigt. Stattdessen dominierten Vorurteile sowie gegenseitiger Neid.

Bis heute wird, angetrieben von jenen Ländern, die mehr in den Gemeinschaftshaushalt einzahlen, als sie selbst herausbekommen – den Nettozahlern –, die Hilfe für Partnerländer an politische Bedingungen und Reformen geknüpft. Zuletzt beschloss der EU-Budgetgipfel im vergangenen Juli, dass Hilfsgelder nur ausbezahlt werden sollen, wenn die Rechtsstaatlichkeit im Empfängerland garantiert ist. Die Initiative richtete sich gegen Länder wie Polen, Ungarn und Rumänien, deren Regierungen in den vergangenen Jahren in unterschiedlichem Maß die Unabhängigkeit von Justiz, Wissenschaft und Medien untergraben haben. Davor richtete sich der Reformdruck auf Griechenland, das nicht nur mit einem Schuldenberg kämpfte, sondern auch Reformwillen in der Verwaltung und Wirtschaft vermissen ließ.

Insgesamt flossen zuletzt jährlich fast 40 Milliarden Euro an Transfers in EU-Länder mit wirtschaftlichem Aufholbedarf. Wobei dieses Geld nicht bloß von Nettozahlern entrichtet wurde, sondern zu einem kleineren Teil auch aus Zolleinkünften und Strafzahlungen an die EU stammte. Größte Nettoempfänger waren 2018 Polen mit 12,3 Mrd. Euro, Ungarn mit 5,2 Mrd. und Portugal mit 3,2 Mrd. Die Riege der Nettozahler führte Deutschland mit 13,4 Mrd. Euro vor dem ausgetretenen Großbritannien mit 6,9 Mrd. und Frankreich mit 6,2 Mrd. an. Wobei die absoluten Zahlen die Verhältnisse verzerren. Auf die Bevölkerungsgröße heruntergebrochen profitierten Litauen (610 Euro pro Kopf), Ungarn (533 Euro) und Lettland (505 Euro) am meisten von den EU-Hilfen. Der größte Pro-Kopf-Nettozahler war nicht Deutschland (161 Euro), sondern Dänemark (206 Euro). Österreich kam in dieser Rechnung mit Zahlungen von 152 Euro pro Kopf und Jahr an die dritte Stelle aller EU-Länder.

Im Fall von Österreich muss bei einer objektiven Bilanz der EU-Transfers an osteuropäische Staaten auch der Zugewinn einberechnet werden, den heimische Unternehmen durch ihr Engagement in diesen Ländern erwirtschaften. Sie profitieren nämlich in dieser Region sehr oft direkt und indirekt von EU-Förderungen. Die EU unterstützt nicht nur Investitionen, sondern auch die benötigte Infrastruktur in den ehemaligen Ostblockländern. Außerdem geht mittlerweile rund ein Drittel der heimischen Exporte in diese Partnerstaaten. Österreichs Wirtschaft profitiert also auch vom geförderten Wachstum Osteuropas. Gleichzeitig muss natürlich erwähnt werden, dass durch EU-Förderungen Konkurrenzbetriebe jenseits der Grenze entstehen, die den Wettbewerbsdruck auf heimische Betriebe erhöhen.

Positive Effekte für den Binnenmarkt

Die EU-Kommission argumentiert, dass die sogenannte Kohäsionspolitik, also die Heranführung ärmerer Mitgliedstaaten an das Niveau reicherer Länder, die Stabilität der EU erhöht. Das betrifft zum einen die soziale und politische Stabilität dieser Länder. Zum anderen den gemeinsamen Binnenmarkt. Denn ein angenähert gleich hohes Wohlstandsniveau sorgt für faire Bedingungen im ökonomischen Wettbewerb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2020)

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