Politikwissenschaft

Mit Butter auf dem Brot gegen gesellschaftliche Schieflagen

Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen sichere die Würde aller Menschen in einer digitalisierten und automatisierten Welt, sagt die Politologin Barbara Prainsack.
Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen sichere die Würde aller Menschen in einer digitalisierten und automatisierten Welt, sagt die Politologin Barbara Prainsack. Gregor Hofbauer
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Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen sichere die Würde aller Menschen in einer digitalisierten und automatisierten Welt, sagt die Politologin Barbara Prainsack. In ihrem neuen Buch skizziert sie ihre These abseits von Ideologien aus der Sicht von Betroffenen.

„Und plötzlich wusste ich, wie es weitergeht“, sagt die arbeitslose Musiklehrerin Riikka aus Finnland. Sie hat das bedingungslose Grundeinkommen in einem Experiment ihrer Regierung erlebt und die Zeit genutzt, um einen Verein zu gründen, der kostenlosen Musikunterricht für Kinder aus benachteiligten Familien ermöglicht. Während die Politik den Versuch als gescheitert sieht, weil weniger Arbeitslose als erhofft ins Erwerbsleben zurückkehrten, spürten die Bezieherinnen und Bezieher trotz der kurzen Laufdauer von zwei Jahren durchaus positive Auswirkungen, unter anderem auf die Gesundheit.

„Was ich gemacht habe, war für die Gesellschaft viel mehr wert als meine bezahlte Arbeit davor, und trotzdem zählt das nicht als Erfolg“, ist Riikka enttäuscht. Ihr Fall ist einer von vielen, die die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack von der Universität Wien in ihrem diese Woche erschienenen Buch „Vom Wert des Menschen“ aufrollt, um Chancen und Grenzen des sozialpolitischen Finanztransferkonzeptes, das durch eine monatliche Zahlung den Lebensunterhalt für alle sichert, auszuloten. Da sind etwa noch der afroamerikanische Endzwanziger Jeffrey aus Texas, der sich und seine Generation erstmals vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Andrew Yang mit seiner Grundeinkommen-Forderung verstanden fühlt, oder die niederländische Architektin Ayse, die es ungerecht findet, Geld und soziale Anerkennung nur für ihren Job und nicht für die Arbeit im Haushalt zu bekommen.

Fehlgeleitete Wertschätzung

„Arbeit ist zentral im Leben der Menschen“, sagt Prainsack. Die Verkürzung von Arbeit zu Erwerbsarbeit etablierte sich erst nach der industriellen Revolution. „Das hat auch mit einem männlichen Weltbild zu tun. Denn es ist natürlich absurd, die Hausfrau als einen Menschen zu sehen, der nicht arbeitet.“ Die Digitalisierung, aber auch die Coronakrise hätten gezeigt, in welcher extremen Schieflage sich unsere Gesellschaft dadurch derzeit befindet, so die Politologin, die auch die EU-Kommission zur Ethik neuer Technologien berät: „Die Menschen, die lebenswichtige Funktionen in der Gesellschaft ausüben, gehören zu den am schlechtesten bezahlten.“ Die ökonomische Wertschätzung stimme also nicht mit der Bedeutung ihrer Jobs für die Gesellschaft überein. Ähnliches gelte für den sozialen Wert von Arbeit: „Alleinerzieherinnen mit Teilzeitjobs erfahren zum Beispiel sozial am wenigsten Wertschätzung, obwohl sie in Österreich zu den Gruppen gehören, die stundenmäßig am meisten arbeiten.“

Prainsack versteht ihr Buch als Beitrag zum öffentlichen Diskurs: „Die Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen hat in Österreich einige Schlagseiten und könnte von einem Blick über den Tellerrand profitieren.“ Begonnen hat sie ihre Beschäftigung mit dem Thema selbst als Skeptikerin. Nun nimmt sie ihre Leserinnen und Leser mit auf ihrem Reflexionsprozess, an dessen Ende sie sich klar für eine existenzsichernde bedingungslose monatliche Zahlung für alle in einem Land ausspricht.

Ausweg Butterbrot-Modell

Dass die Automatisierung zur Massenarbeitslosigkeit führt, glaubt Prainsack indes nicht. „Aber manche Menschen werden zurückgelassen. Es wird Fähigkeiten geben, die aufgewertet werden, wie kritisches Denken, Kreativität und soziale Kompetenzen des menschlichen Kontakts. Wer diese nicht hat, wird auf dem Arbeitsmarkt langfristig nicht vermittelbar sein.“ Auch deshalb müsse man die traditionellen Institutionen, die auf der Erwerbsarbeit des 20. Jahrhunderts aufgebaut sind, überdenken.

Die Forscherin spricht sich gegen ein libertäres Grundeinkommen-Modell aus, bei dem sich die Menschen Bildung, Gesundheitsversorgung oder Transport auf dem freien Markt kaufen müssten. „Ich plädiere für ein Butterbrot-Modell. Das Grundeinkommen ist die Butter, aber das Brot darunter ist das, was man mit einem altmodischen Wort Daseinsvorsorge nannte.“ Die Höhe der monatlichen Zahlung hänge entsprechend davon ab, wie gut öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen ausgebaut seien.

Barbara Prainsack
„Vom Wert des Menschen“
Brandstätter
192 Seiten
20 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2020)

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