French Open

Erst Axl Rose, dann der Dschungel von Paris

Gelingt der Polin Iga Swiatek heute in Paris der große Wurf?
Gelingt der Polin Iga Swiatek heute in Paris der große Wurf?APA/AFP/MARTIN BUREAU
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Schreibt Iga Światek Geschichte als Polens erste Grand-Slam-Siegerin oder doch die Amerikanerin Sofia Kenin mit dem zweiten Major-Sieg binnen eines Jahres? Das Damen-Tennis unterliegt in Paris jedenfalls einem Wandel.

Paris. Nicht Präsident Andrzej Duda oder Bayern-Legionär Robert Lewandowski lassen Polen staunen, sondern ein Tennis-Teenager. Iga Światek, 19 und aus Warschau, ist nämlich kurz davor, Sportgeschichte zu schreiben. Sie steht im Finale der French Open (15 Uhr, live Eurosport) und trifft heute auf die Amerikanerin Sofia Kenin. Während in der Heimat ungeahnte Euphorie herrscht, bleibt Światek besonnen. „Ich habe wirklich keine Erwartungen. Ob ich gewinne oder verliere? Das Finale ist ein tolles Ergebnis.“

Natürlich ist Kenin, 21, Gewinnerin der Australian Open und Weltranglisten-Sechste, die Favoritin auf dem Papier. Doch natürlich ist und war in den vergangenen zwei Wochen wenig bis nichts. Die Coronakrise hat das Damen-Tennis durcheinandergewirbelt, in Paris ist fast nichts mehr wie es einmal war, es herrschen andere Temperaturen und es wird mit Wilson- statt Babolat-Bällen gespielt. Die Titelverteidigerin Ashleigh Barty reiste erst gar nicht an, US-Open-Siegerin Naomi Ōsaka sagte ab. Die 23-malige Grand-Slam-Siegerin Serena Williams aus den USA schied früh aus, die Weltranglisten-Zweite Simona Halep scheiterte im Achtelfinale. Mit einem 1:6, 2:6 gegen Iga Światek. Und macht ihr Hoffnung.

Bei manchen führt das gleich zur heillosen Übertreibung, aber dem Einfallsreichtum mancher Medien sind keine Grenzen gesetzt. „Nadal-esk“, schrieben polnische Zeitungen, sei ihr Auftritt. Die Turnierbilanz der bislang auf Rang 54 der Branchenwertung geführten Polin liest sich allerdings durchaus beachtlich: 6:1, 6:2 gegen Markéta Vondroušová (Nr. 15, Tschechien); 6:1, 6:4 gegen Hsieh Su-Wei (Taiwan), 6:3, 6:2 gegen Eugenie Bouchard (Kanada); 6:1, 6:2 gegen Halep (Rumänien); 6:3, 6:1 gegen Martina Trevisan (Italien) und im Halbfinale 6:2, 6:1 gegen die Argentinierin Nadia Podoroska. Somit steht Światek als zweite Polin nach Jadwiga Jedrzejowska 1939 im Finale von Paris. Es wäre Polens erster Grand-Slam-Triumph, daher rührt die Aufregung. Zuletzt hatte Agnieszka Radwańska diesen Hit in Wimbledon 2012 verpasst.

Realität statt PlayStation

Die Tochter eines Olympia-Ruderers von 1988 beeindruckt mit ungeheurer, aggressiver Spielweise und erstaunlicher Nervenstärke gleichermaßen. Sie habe Tennis schon als Kind auf der PlayStation gelernt, erzählte sie unbekümmert vor dem Turnier noch dem TV-Sender ESPN. Vor ihren Matches hört sie immer „Welcome to the Jungle“, die Stimme von Axl Rose und der Sound von Guns N' Roses würden sie antreiben.

Światek arbeitet, wie viele andere auch, mit einer Sportpsychologin zusammen und bezeichnet sich als „hungrig nach Wissen“. Zwei Jahre wollte sie sich im Tennis einräumen. Wenn es in dieser Zeit mit dem Tennis nicht entscheidend voranginge, sprich sie Zählbares vorzuweisen gehabt hätte, wäre sie studieren gegangen. Die akademische Karriere muss vorerst also weiter warten.

Sofia Kenin hingegen könnte zur ersten Spielerin seit Angelique Kerber (2016) werden, die zwei Grand-Slam-Turniere im selben Jahr gewinnt. Dabei hatte alles vor drei Wochen noch ganz anders ausgesehen: dem Achtelfinal-Aus bei den US Open folgte ein blamables 0:6, 0:6 gegen Viktoria Asarenka in der zweiten Rom-Runde.

Die US-Amerikanerin, die mit ihren Eltern als Baby aus Russland in die USA gezogen war, wird gut daran tun, Światek tunlichst nicht zu unterschätzen. Nur 23 verlorene Games sind durchaus ein markantes Warnsignal in einem Grand-Slam-Turnier. Allerdings, sie kennt die Polin bereits aus gemeinsamen Juniorinnen-Zeiten. Und einem Meeting in Paris. 2016 hat sie in Paris gegen Światek verloren.

Gelingt der große Coup der Polin, wäre sie die jüngste French-Open-Siegerin seit Monica Seles 1992. Dann wäre sie prompt Nummer 24 der Welt – aber in der Heimat tatsächlich ein absoluter Superstar. Der Rocker Axl Rose hält es zumindest in einer Strophe seines Welthits für möglich: „Welcome to the jungle, we've got fun and games.“ (ag/fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2020)

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