Eine Zeitung als getreuer Zeitzeuge

Die „Rieder Volkszeitung“ der Fünfzigerjahre – ein Unikum.

„Meistersohn vom Land, 21 und 1,70, sucht zwecks späterer Übernahme des väterlichen Betriebs ein junges Mädchen, 16–22, welches arbeitsfreudig und sittenrein ist, mit zirka S 25.000–50.000.“

„Abgase haben auch Vorteile: Auf der Welt wird es wärmer. Die durchschnittliche Temperatur auf unserer Erde ist in jüngster Vergangenheit um mehrere Grade gestiegen.“

Die „Rieder Volkszeitung“ war in den ersten Nachkriegsjahren ein Unikum: Das einzige Massenmedium neben dem Radio, mit unbestrittener Autorität ausgestattet, tiefschwarz, sittenstreng, erzkatholisch, ermahnend, belehrend, unterhaltsam, im Lokalteil unschlagbar. In jedem Innviertler Haushalt präsent, bot es Gesprächsstoff für eine ganze Woche. „Katholisch und konservativ“ war das Motto. Wolfgang Marschall nähert sich diesem Zeitdokument durchaus respekt- und liebevoll, wenngleich so manche Epistel aus den Fünfzigerjahren heutzutage erheitert.

Aus Eggerding wird eine wahre „Blinddarm-Epidemie“ gemeldet: „Innerhalb einer Woche wurden zwei Personen, und zwar Margarethe Maier und Franziska Wimmer, operiert.“ Auch vor kniffligeren menschlichen Problemen scheut die Redaktion nicht zurück: „Haben intellektuelle Frauen nicht typisch weibliche Eigenschaften?“ Nein, sagt der Redakteur apodiktisch: „Nein, diese Eigenschaften sind bei ihnen meist verkümmert.“

Herrliches Atomzeitalter

Die Sechzigerjahre: In der Öffentlichkeit und der Politik herrscht – befeuert von den Zeitungen – der absolute Glaube an den Wirtschaftsaufschwung, den Fortschritt. Symbol all dessen war die Atomkraft. Radioaktive Strahlen zeigten bei einem amerikanischen Studenten, dass dieser viel weniger Schlaf benötige, weil sie viel rascher den Körper „entgiften“. Oder: „Atomkraftbetriebene Herzen werden vielleicht eines Tages ein krankes Herz ersetzen.“ In zwanzig Jahren würden Schiffe und Lokomotiven mit Atomenergie betrieben werden – ein ungeahnt „strahlendes“ Zeitalter stehe kurz bevor. Mit Atombomben werde man Berge sprengen, Straßen bauen, Hafenbecken schaffen usw. 1968 (ÖVP-Alleinregierung) waren sich Bayern und Österreicher einig, im Innviertel ein Atomkraftwerk zu bauen, was Ranshofen vehement befürwortete. Dann gewann aber doch der Standort bei Tulln.

Noch hatte der Wettlauf zwischen Kino und Fernsehen erst begonnen. In jedem Dorf, ob in Eberschwang, Gaspoltshofen, Taufkirchen oder Riedau, überall florierte ein Kino. Dominierten in den Fünfzigern, so kurz nach dem Krieg, kitschige Heimatfilme („Wo der Wildbach rauscht“), so zog dann die Sünde ein („Hoppe, hoppe Reiter“, „Heubodengeflüster“). Dagegen freilich musste die „Rieder Volkszeitung“ energisch vorgehen und Psychologen zurate ziehen, um das leibliche Wohl der jungen Staatsbürger zu schützen. Erst mit 30 oder 40 Jahren sei der Mensch gefestigt genug. „Viel Fleisch, Verbrechen, Schießereien, wilde Boxkämpfe in Texas, Mord, Raub, Sittenskandale“ – äußerst zweifelhaft . . .!

Vom Haushalt bis zum Urlaub, vom Traktor bis zum Plastik: Für alles und jedes hatte diese einzigartige Wochenzeitschrift gute Tipps, ernste Warnungen, sittliche Mahnungen, politische Entscheidungshilfen parat. Sie war der getreuliche Spiegel des „Wirtschaftswunders am Land“.

Wolfgang Marschall
Eine Luftmatratze muss her! Dorfwirtschaftswunder 1950
Verlag Pustet 210 S., 24 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2020)

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