Wort der Woche

Schatzkiste Donau

Die Donau ist nicht nur ein Naturparadies, sondern auch eine einzigartige Kulturlandschaft. Und das seit vielen Jahrtausenden, wie eine aktuelle Ausstellung beweist.

An 11 Tagen braun, an 46 Tagen lehmgelb, an 59 Tagen schmutziggrün, an 5 Tagen grasgrün, an 69 Tagen stahlgrün, an 46 Tagen smaragdgrün und an 64 Tagen dunkelgrün.“ So lautet die Bilanz des Hydrografen Anton Bruszkay, als er im Jahr 1903 jeden Morgen die Farbe der Donau dokumentierte. Einem Teil seines Rufs – blau zu sein – wird die Donau also an 300 Tagen im Jahr nicht gerecht. Freilich: Schön ist sie in jedem Fall – sie ist eine echte Schatzkiste! Nicht nur weil der Fluss im wahrsten Sinn des Wortes Schätze liefert – etwa jene rund 20 Kilo Gold, die bislang aus dem Schotter gewaschen wurden. Und nicht nur, weil sie auf ihrem gut 2850 Kilometer langen Lauf unzählige wertvolle Naturräume beherbergt. Sondern auch, weil der Strom die Basis für eine einzigartige Kulturlandschaft ist. Und das schon seit vielen Jahrtausenden.

Um sich dessen gewahr zu sein, bräuchte es zwar die heurige Donau-Ausstellung auf der Schallaburg nicht. Aber selbst wenn einem dies bewusst ist, macht das dort Gezeigte staunen. So etwa die rund 7000 Jahre alten Fundstücke aus Vinča, einem Vorort von Belgrad, wo sie normalerweise im Nationalmuseum brillieren. Diese Stein-, Keramik-, Feuerstein- oder Muschelgegenstände zeugen vom hochentwickelten Leben, Denken und Wirtschaften unserer Vorvorvorfahren. Sie beweisen, dass es schon damals Fernhandel gab, dass sich auch die Menschen der Steinzeit liebevoll um ihre Kinder kümmerten oder dass sie ausgefeilte Glaubenssysteme hatten – spürbar bei den faszinierend-abstrahierten, teils bunt bemalten menschlichen Figuren.

Angesichts solch prachtvoller Stücke könnte man glatt eine wissenschaftliche Sensation übersehen: In einer unscheinbaren Vitrine in der Ecke liegen noch wesentlich ältere Funde aus einer aktuellen Grabung des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW): In Svinjarička ?uka, an den Ufern des Donauzubringers Morava, wird seit 2018 gemeinsam mit serbischen Kollegen das älteste Dorf Europas ausgegraben. Die rund 8000 Jahre alten Fundstücke bieten einen einzigartigen Einblick in die ersten Generationen sesshafter Bauern in Europa – Einwanderer aus Asien, wo die Landwirtschaft 2000 Jahre zuvor erfunden wurde. An den Artefakten lässt sich der Verlauf der wohl folgenreichsten technologischen und sozialen Revolution in der Menschheitsgeschichte nachvollziehen. Ein Wissen, das angesichts unserer heutigen radikalen Umbrüche hochinteressant ist. ⫻

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

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