Am Herd

Knappe Antworten

Es ist schon seltsam, wenn ein Kind einen ganz anderen Weg einschlägt als man selbst. Über Hannah, die als Schülerin Atomkraftwerke faszinierend fand und jetzt Physik studiert.

Hannah muss etwa 13 Jahre alt gewesen sein, da kam sie einmal von der Schule nach Hause und fing sofort an zu reden. Sie redete, als sie die Schuhe von den Füßen schüttelte, sie redete, als sie sich ein Glas Orangensaft aus dem Kühlschrank holte, und sie hörte auch nicht auf, als ihr Handy läutete. Sie drückte den Anrufer weg, setzte sich an den Küchentisch und leuchtete vor Aufregung. „Stell dir vor, Mama!“, rief sie, und dann erklärte sie mir, wie ein Atomkraftwerk funktioniert, das hatte sie nämlich eben gelernt. „Ist das nicht irrsinnig cool?“

Ja. Irrsinnig. Die Faszination von Atomkraftwerken war mir bis dato verborgen geblieben, aber ich hörte ihr zu, auch wenn ich ihren Ausführungen nicht in jedem Punkt folgen konnte, und wagte nur am Schluss einen klitzekleinen Einwand. „Du weißt aber schon, dass diese Technologie auch gefährlich sein kann?“

Beistrichfehler. Letzten Montag habe ich Hannahs Bachelorarbeit Korrektur gelesen. Das heißt, ich habe Tippsler herausgefischt, nach Beistrichfehlern gefahndet und gegoogelt, ob man die Maßeinheit Gauß mit doppeltem oder scharfem S schreibt. Verstanden habe ich kein Wort, nicht einmal der Titel sagte mir etwas, und vor den Formeln stand ich ohnehin völlig fassungslos. Was genau hat sie da im Labor mit den Siliziumionen angestellt? Warum wird da etwas gekühlt?

Und mit was genau wird geschossen? Ich hatte gehofft, eine Ahnung davon zu bekommen, womit meine Tochter sich da seit Monaten beschäftigt hatte, erst im Labor, dann vor dem Computer, aber als ich fertig war, konnte ich ihr nicht einmal ein Kompliment aussprechen. Kein „Super gemacht“. Kein „Tolle Arbeit“. Wie sollte ich das auch beurteilen?
Hannah schien sich daran freilich nicht zu stören. Ich war für die Rechtschreibung zuständig. Für die inhaltliche Kritik hatte sie ja eh ihre Studienkollegen.

Knappe Antworten. Da ist mir eingefallen, dass Hannah eigentlich schon seit geraumer Zeit kaum mehr von der Uni erzählt, und wenn mein Mann manchmal nachfragt, was sie denn in dieser oder jener Vorlesung so lerne, fallen die Antworten knapp aus. Hannah weiß schon längst, dass wir sie nicht verstehen würden, sie hat aufgegeben, etwas zu erklären, für das uns ganz offensichtlich die Grundlagen fehlen, und diese Arbeit war der Beweis, wie recht sie damit hat. Eine fremde Welt war das für mich, ein völlig unbekanntes intellektuelles Feld, in dem all mein Wissen nicht zählt, in dem ich verloren bin, und meine Tochter springt darin munter herum.
Es ist schön, dass sie das tut. Es ist schade, dass ich ihr dahin nicht folgen kann.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

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