Mein Dienstag

Was vermisst du am meisten an deinem alten Leben?

Die Presse/Clemens Fabry
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Dinge, die noch vor Kurzem selbstverständlich waren, sind plötzlich von unschätzbarem Wert.

Was vermisst du denn am meisten?“, wird man dieser Tage oft gefragt? Das Reisen? Die Partys und Konzerte? Kabaretts? Sportveranstaltungen? Nun, zunächst einmal. . . einfach alles. Den Strand von Antalya und Barcelona, die Clubs von Berlin, die Parks in London, die Innenstadt von Edinburgh, die Häuserschluchten von New York. Das abgesagte „The Killers“-Konzert, die Nächte in der Disco U4, die Auftritte von Kaya Yanar, Bülent Ceylan, Carolin Kebekus, Thomas Maurer. Und natürlich die Feiern in den Wohnungen von Freunden, die ein- oder ausziehen, Eltern wurden oder einen runden Geburtstag haben. Ja, solche Feiern sind nicht verboten, aber der Hausverstand und die Eigenverantwortung lassen sie trotzdem nicht zu.

Die Sehnsucht nach diesen noch vor einem Jahr ganz gewöhnlichen Dingen ist manchmal so groß, dass Ablenkung nur durch die berauschenden Strapazen eines Halbmarathons möglich ist; oder eines Best-of-Five-Tennisspiels; oder mit einem Film von Pedro Almodóvar.

„Aber gibt es etwas, das dir ganz besonders abgeht, mehr als alles andere?“, wollte zuletzt jemand wissen. Ja, gibt es. Das Sehen, aber Nicht-umarmen-Dürfen von engen Freunden und Familienmitgliedern. Da sitzen sie zwei Meter vor einem, man müsste nur aufstehen, hingehen und sie umarmen. Darf es aber nicht. Wer hätte so eine Situation jemals für möglich gehalten? Dann doch lieber gar kein Treffen.

Aber auch diese Gedanken werden erträglich. Und manchmal sogar nebensächlich. Dann nämlich, wenn man sich jene Menschen vor Augen führt, die gestorben, erkrankt und vereinsamt sind, die ihren Job verloren haben, ihre Existenz und ihre Lebensfreude. Nein, es ist kein Trost, dass es ihnen schlechter geht als einem selbst. Es hilft nur dabei, zwischendurch auch einmal etwas Dankbarkeit zu zeigen. Kann jetzt bitte dieser Impfstoff kommen.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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