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Warum die Ur-Maus viel länger lebte

Wikimedia Commons / FunkMonk (Michael B. H.)
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Überraschende Entdeckung: Die ersten Säugetiere waren Kaltblütler, wie Reptilien. Die „Jahresringe“ ihrer Zahnwurzeln verraten es.

Sie sahen aus wie Spitzmäuse. Die Größe, das für flinke Bewegung angelegte Skelett, Zähne in vier Varianten, das recht große Gehirn, wohl auch Haare – alles ähnlich wie bei ihren Nachfahren. Die Tierchen Morganucodon und Kuehneotherium, die zusammen mit den Dinosauriern vor 200 Millionen Jahren lebten, sind zwei der ältesten Vertreter der Säugetiere. Und dazu gehört doch wohl, dass sie schon Warmblütler waren, also ihre Körperwärme durch den Stoffwechsel unabhängig von der Umwelttemperatur konstant halten konnten. Oder nicht?

Paläontologen um Elis Newham von der Uni Bristol haben nun eine überraschende Entdeckung gemacht (Nature Communications, 12. 10.): Während heutige wilde Mäuse eine Lebenserwartung von nur ein bis zwei Jahren haben, kamen diese Ur-Mäuse auf bis zu 14 Jahre – ähnlich wie Eidechsen, also Reptilien, also Kaltblütler. Deren längeres Leben hat mit gedämpftem Stoffwechsel und Durchblutung zu tun: Sie sind nicht so eifrig bei der Futtersuche, ihr Rhythmus ist langsamer. Heutige Säuger aber leben schnell und sterben jung, popkulturell gesagt.

Knochen verraten Blutfluss

Ihre Entdeckung machten die Forscher, als sie den fossilen „Wurzelzement“ von 200 solcher Tiere unters Röntgen legten. Dieses Gewebe, großteils aus Mineralien, umhüllt und verankert das Dentin der Zahnwurzel. Jedes Lebensjahr wachsen ihm zwei verschiedenfarbige Schichten zu, ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen. So lässt sich bestimmen, wie lange die Tiere lebten.

Zusätzlich untersuchten die Forscher die Oberschenkelknochen, genauer den Durchmesser der Hohlräume, in denen sich die Blutgefäße befanden. Er zeigt den maximalen Blutfluss an, der wichtig für stressige Aktivitäten wie die Jagd ist. Und er lag offenbar nur wenig höher als bei kleinen Reptilien jener Zeit, aber viel niedriger als bei heutigen Mäusen.

Die Charakteristika von Säugetieren traten also nicht gleichzeitig auf, wie bisher vermutet. Die Änderung beim Stoffwechsel von „wechselwarm“ zu „gleichwarm“ entwickelte sich über einen Zeitraum von 25 Millionen Jahren, im frühen Jura. Und es gab einst Säuger, die viel entspannter waren als wir heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2020)

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