Eine Expertenkommission hat "Fehleinschätzungen" der Behörden und des Bundes aufgezeigt. Die Tiroler Opposition übt scharfe Kritik an den Regierenden, ebenso der Verbraucherschutz.
Die sechsköpfige Ischgl-Expertenkommission hat ihren 703 Seiten starken Bericht vorgelegt. Er befasst sich mit der Vorgangsweise von Bund und Land Tirol nach Ausbruch der Corona-Pandemie. Sein Fazit: Es gab sehr wohl Fehlentscheidungen. Und: Das Chaos bei der Abreise der Touristen aus Ischgl hätte nicht sein müssen. Ein Ergebnis, das scharfe Kritik des Verbraucherschutzvereins VSV sowie der Tiroler Opposition ausgelöst hat. Verbraucherschutzobmann Peter Kolba sah ein klägliches Versagen von Bund und Land, Tirols Oppositionsparteien fordern personelle Konsequenzen.
Scharfe Kritik an Kanzler Kurz
Kolba sah die eingebrachten Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich durch die Erkenntnisse der Experten bestätigt - vor allem in puncto des "Verschweigens von Covid-19 Fällen bei isländischen Urlaubern in Ischgl in Pressemeldungen" und des "chaotischen Abreisemanagements". Insbesondere mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geht er hart ins Gericht: Das Unter-Quarantäne-Stellen des Paznauntales und von St. Anton sei mit den Tiroler Behörden nicht abgestimmt gewesen. Die Polizei habe erst keine rechtliche Grundlage gehabt, Abreisende zu kontrollieren. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck sei erst später in Kraft getreten. "So kam es dazu, dass Tausende infizierte Urlauber auf halb Europa verteilt wurden, ohne dass deren Heimatbehörden eine Heimquarantäne prüfen konnten", meinte Kolba.
"Wir haben von Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen gesprochen: Wir wurden bestätigt. Wir haben von schlecht vorbereitetem Krisenmanagement gesprochen: Wir wurden bestätigt", fasste indes Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer seine Schlussfolgerungen zusammen. Nun dürfe „in Tirol kein Stein auf dem anderen bleiben", meinte er, der sich überdies empört zeigte, dass Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) offenbar seine Verantwortung "unrechtmäßig und fälschlicherweise völlig aus der Hand gegeben - und das unter den Augen und mit Duldung von Landeshauptmann Günther Platter".
"Personelle Konsequenzen auf allen Ebenen" fordert auch FPÖ-Obmann Markus Abwerzger. Der Bericht sei eine "wahre Politbombe“, sagte er, während Neos-Landessprecher Dominik Oberhofer ein "erschreckendes Ausmaß von Politikversagen auf allen Ebenen“ geißelte. "Die Behörden haben nicht alles richtig gemacht, der Bericht der Untersuchungskommission ist kein Freispruch, sondern eine Auflistung von Fehlern, Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen", erklärte die Landtagsabgeordneten der Liste Fritz, Andrea Haselwanter-Schneider und Markus Sint. In Sachen Personalia orten sie nun Handlungsbedarf seitens Platter, „ein Übergehen zur Tagesordnung kann es nicht geben“.
ÖVP wiegelt ab, Grüne wollen analysieren
Weniger kritisch bewertete die Volkspartei das 700-seitige Dokument: Die Experten würden "mit kursierenden Verschwörungstheorien aufräumen", befand Klubobmann Jakob Wolf: "Beispielsweise werden alle Gerüchte, dass sich die Politik bei der Beendigung der Wintersaison von der Tourismus- und Seilbahnbranche beeinflussen hätte lassen und ihrem Druck nachgegeben hätte, klar widerlegt". Auch wenn es zu Beginn der Pandemie fachliche Fehleinschätzungen gegeben habe, belege der Bericht, dass es seitens der Behörde zu keinem Zeitpunkt Entscheidungen wider besseren Wissens gegeben habe, meinte Wolf.
Etwas kritischer äußerte sich Gebi Mair von den Grünen. "Dieser Bericht ist ein herausragendes Beispiel, wie man Fehlermanagement im 21. Jahrhundert betreibt. Denn der Bericht legt die Schwächen und zahllosen Fehleinschätzungen von Anfang März schonungslos offen", erklärte Mair. Er führe eindrücklich vor Augen, dass "viele Organe zu Beginn mit dieser einmaligen Situation überfordert waren und es zu zahllosen Fehleinschätzungen gekommen ist". Diese Fehler seien jetzt im Detail zu analysieren.
(APA/Red.)