Vetodrohungen

Ein EU-Gipfel gelähmt in Entscheidungsschwäche

Polish Prime Minister Mateusz Morawiecki holds a press conference on the government reconstruction Jaroslaw Kaczynski,
Polish Prime Minister Mateusz Morawiecki holds a press conference on the government reconstruction Jaroslaw Kaczynski,imago images/Eastnews
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Polens Vetodrohung blockiert das Klimaziel für 2030. Und auch bei der Coronakoordination und der Türkei-Politik scheuen die 27 Chefs klare Antworten.

Die neuen Kampfansagen und Vetodrohungen aus Warschau verschärfen die Entscheidungsschwäche der Union. Bei ihrem Europäischen Rat am Donnerstag und Freitag laufen die 27 Staats- und Regierungschefs Gefahr, für keines ihrer akuten politischen Probleme eine Lösung zu erzielen – vom drohenden abrupten Brexit zu Jahresende ganz abgesehen.

Das Verhältnis zwischen der polnischen Regierung und Brüssel ist derzeit an zwei Druckpunkten besonders schlecht. Erstens lehnt die nationalautoritäre Regierungspartei PiS die geplante sogenannte Konditionalität, also die Bindung der Auszahlung von EU-Subventionen an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den jeweiligen Empfängerländern, weiterhin fundamental ab. „Wenn die Drohungen und Erpressungen aufrechterhalten werden“, werde es ein Veto geben, sagte der eigentliche starke Mann der PiS, Vizeregierungschef Jarosław Kaczyński, am Dienstag zur Zeitung „Gazeta Polska Codziennie“. Nachsatz: „Wir werden gegen jeden vorgehen, der uns erpresst.“

Zweitens ist Polens Regierung fast ein Jahr, nachdem sie an dieser Frage beinahe einen EU-Gipfel hätte scheitern lassen, weder gewillt, sich dem gemeinsamen Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 noch der Senkung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent (die Kommission schlägt 55 Prozent vor) bis zum Jahr 2030 zu verschreiben.

„Der Oktobergipfel ist der richtige Moment, um einen Prozess zu schaffen, bevor bei Dezembertreffen eine endgültige Entscheidung über das 2030-Ziel getroffen wird“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen polnischen Diplomaten.

Die polnische Verzögerungstaktik ist bemerkenswert. Denn das Scheitern des erwähnten Gipfels im Dezember vor einem Jahr wurde nur dadurch abgewendet, dass man sich darauf einigte, die Einigkeit der Klimaneutralität für das Jahr 2050 im heurigen Juni zu erzielen. Das ist nicht passiert. Und nun stellt Warschau infrage, ob die 27 EU-Chefs das Etappenziel für 2030 überhaupt noch heuer fixieren können. „Das 2030-Ziel ist entscheidend, wenn wir unser 2050-Ziel erreichen wollen“, betonte ein hochrangiger EU-Diplomat. Am Donnerstagabend werden die 27 insofern ihr Dinner mit einer „Orientierungsdebatte“ verbringen, um herauszufinden, „wo die Sensibilitäten der Mitgliedstaaten sind“.

Erdoğan narrt die Europäer

Doch das sind nicht die einzigen wichtigen politischen Fragen, in denen es im Europäischen Rat hakt. Die Hoffnung der 27, den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, durch diplomatische Konzilianz zur Beendigung der völkerrechtswidrigen Provokationen in griechischen und zyprischen Hoheitsgewässern zu bewegen, erweist sich als irrig. Die Türkei lässt sich von den butterweichen Ankündigungen der 27 Chefs von vor zwei Wochen, eventuell über Sanktionen nachzudenken, nicht beeindrucken. Neue Maßnahmen dürften die Gipfelteilnehmer dieses Mal erneut scheuen.

Und auch die vermeintliche Einigung der EU-Staaten auf gemeinsame Regeln für Reisebeschränkungen in Zeiten der Pandemie ist ein Flop. „Wir sind ziemlich enttäuscht“, erklärte Alexandre de Juniac, Generaldirektor des Weltluftfahrtverbands Iata, am Mittwoch. „Wir hätten gehofft, dass der Europäische Rat zumindest für die Idee offen wäre, Quarantänen durch Tests zu ersetzen.“ Diese Entscheidung werden die 27 Chefs jedoch auch meiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2020)

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