Wenig Personal, wenig Know-how: Die Gründe für die aktuellen Probleme der Staatsanwaltschaft. Die Justizministerin kündigt ein Reformpaket mit Kronzeugenregelung an, damit mehr Kriminelle „auspacken“.
Wien. Jetzt streitet die Regierung sogar schon darüber, in welchem Rahmen gestritten werden soll. Justizministerin Claudia Bandion- Ortner will mit Bundeskanzler Werner Faymann ein Gespräch über die lange Ermittlungsdauer in den aktuellen Politaffären führen. Der vertröstet auf den nächsten turnusmäßigen Termin mit der Justizministerin im September. Wenn Bandion-Ortner schon auf einem Gespräch besteht, dann solle es gleich einen Justizgipfel mit Experten und Kritikern geben, heißt es aus dem Kanzleramt. Davon hält man wieder im Justizministerium nichts: Man wisse nicht, was dort besprochen werden solle.
Vorangegangen war eine Kritik des Kanzlers an der Justiz: Er wünsche sich, dass die Verfahren beschleunigt werden. Bandion-Ortner reagierte verärgert über die Einmischung und kündigte Dienstagabend in der ZiB 1 ein Reformpaket an. Dessen Herzstück soll eine Kronzeugenregelung sein: Kriminellen, vor allem Wirtschaftskriminellen, die mit den Behörden kooperieren, sollen Strafmilderungen versprochen werden. „Das würde dazu führen, dass es öfter Fälle gibt, in denen jemand auspackt“, so die Justizministerin.
Doch die Kritik an der Justiz kommt nicht nur aus der Politik – und sie hat zuletzt zugenommen. Hier die wichtigsten Vorwürfe – und was tatsächlich dran ist:
1. Die Verfahren dauern viel zu lange
Kommendes Jahr wird eine Studie fertiggestellt, die die Dauer von Verfahren europaweit vergleicht. Nach den bisher vorliegenden Daten dürfte Österreich „im obersten Drittel“, also bei den schnellsten Verfahren sein, heißt es aus dem Justizressort. Allerdings ist auffällig, dass gerade spektakuläre Wirtschaftsverfahren und politisch brisante Fälle ewig dauern. Im Fall der Libro-Pleite benötigte die Staatsanwaltschaft acht Jahre, um Anklage zu erheben. Im Bawag-Prozess gibt es nach fünf Jahren noch immer kein rechtskräftiges Urteil – und das Verfahren „Bawag II“ (Refco-Affäre und die Anschuldigungen gegen Ex-ÖGB-Präsident Verzetnitsch) scheint überhaupt eingeschlafen zu sein.
Der von den Staatsanwälten selbst kritisierte Personalmangel ist tatsächlich ein Problem: So sind etwa in München 40 Staatsanwälte für die Bekämpfung der Korruption zuständig – für ganz Österreich sind es acht. Dass da mit ganz anderen Mitteln gearbeitet werden kann, zeigte der Kriminalfall Hypo Alpe Adria: Bayern setzte sieben Ankläger darauf an – die anfänglich einem einzigen österreichischen Kollegen gegenüberstanden.
Ein weiterer Grund für lange Verfahrensdauern: Staatsanwälte müssen sich jeden Ermittlungsschritt genehmigen lassen. In brisanten Verfahren muss auch das Justizministerium eingeschaltet werden, bevor beispielsweise eine Hausdurchsuchung oder Kontoöffnung stattfinden kann – und allein dieser Formalakt kann ein Verfahren um Monate verzögern. Einzig der im Jänner des Vorjahres gegründeten Korruptionsstaatsanwaltschaft bleibt diese Vorabgenehmigung erspart.
2. Die Justiz lässt sich von der Politik vereinnahmen
Die Staatsanwälte bestreiten heftig – aber eine gewisse Beißhemmung vor allem bei Regierungspolitikern ist unübersehbar. In etlichen brisanten Fällen in den vergangenen Jahren haben keine ernsthaften Ermittlungen stattgefunden, mehrmals wurden Politiker nicht einmal zu Vorwürfen befragt.
Die oft zitierten Weisungen des Justizministers sind dafür nicht verantwortlich, die gibt es nämlich nur noch in den seltensten Fällen. Dass Weisungen schriftlich erteilt werden müssen und damit nachvollziehbar sind, dürfte ein gewisser Hemmschuh sein.
Problematisch dürfte eher der vorauseilende Gehorsam von manchen Staatsanwälten sein. Man weiß, welches Verhalten gewünscht wird. Und letztlich entscheidet die Politik über die Karrieren innerhalb der Staatsanwaltschaft und somit über die Zukunftsaussichten jedes Einzelnen.
3. Den Staatsanwälten fehlt es an wirtschaftlicher Expertise
Straftaten in der Wirtschaft und in deren politischem Umfeld sind nicht so einfach zu ahnden wie etwa Körperverletzungen oder ein Bankraub. In diesen Fällen ist die Sache einfach. Vorausgesetzt, der Verdächtige ist dingfest gemacht, ist die Anklage nur noch eine Sache der Anwendung der richtigen Strafbestimmung auf den Sachverhalt, abhängig vom Grad der Verletzungen, vom angerichteten Schaden, von der Art der Begehung, ob mit einer echten Waffe oder ohne, zum Beispiel. Die Wirtschaftskriminalität ist nicht so sinnfällig: Sie verbirgt sich hinter Scheinkonstruktionen und zwischen Zahlenkolonnen und bewegt sich nicht selten an der Grenze zur straflosen Misswirtschaft.
Erfahrene Staatsanwälte räumen durchaus ein, dass es besser um die Wirtschaftskompetenz der Anklagevertreter bestellt sein könnte. Dabei fehlt auch hier nicht der Hinweis auf die Knappheit der Ressourcen: Konnten früher Staatsanwälte für ein Fachgebiet gleichsam angelernt werden, müssen sie heute auch schon als blutige Anfänger völlig selbstständig die Anklage vertreten. Systematische und verpflichtende Schulungen in Wirtschaftssachen sind noch im Projektstadium. Das Justizministerium arbeitet an Ausbildungslehrgängen und will Praxiszuteilungen in Unternehmen oder bei Wirtschaftstreuhändern vorschreiben.
Quereinsteiger wie der Bawag-Ankläger Georg Krakow, der vor seiner Arbeit für die Justiz in der Privatwirtschaft gearbeitet hat, sind Einzelfälle – und Krakow ist auch wieder quer ausgestiegen, nämlich ins Kabinett Bandion-Ortners. Von dort kam auch die Idee, externe Experten für mehrere Verfahren eine Zeit lang direkt in die Behörde zu holen. Das bewährt sich in einem halben Dutzend Fälle bereits gut, darunter in der Korruptionsstaatsanwaltschaft, der Staatsanwaltschaft Wien und bei den Ermittlungen rund um die Kärntner Hypo.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2010)