Hydrologie

Krankheitserreger in Wiener Gewässern vorhersagen

Clemens Fabry
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Heftige Niederschläge können die Qualität von Oberflächengewässern trüben. Wiener Forscherinnen untersuchen, wie sehr Starkregenereignisse die städtischen Gewässer in Zukunft belasten könnten und mit welchen Maßnahmen dagegengehalten werden kann.

Man schrieb das Jahr 1739, als Wien innerhalb der Stadtmauern vollständig kanalisiert war – eine Premiere in Europa. Zu Seuchen kam es dennoch weiterhin durch abgeleitete Abwässer aus den Vorstädten in die Wienerwaldbäche, die auch zum Waschen benutzt wurden, und durch Versickerung von Abwasser in das Grundwasser, das über Brunnen wieder genutzt wurde. Dramatisch waren die Cholera-Epidemien zwischen 1831 und 1873, die 18.000 Wienerinnen und Wiener das Leben kostete. Die bakterielle Infektionskrankheit wurde über das Wasser verbreitet.

Kanalnetz als Überlaufspeicher

Verbesserungen der hygienischen Situation brachten die Umwandlung der Bäche in sogenannte Bachkanäle und die Errichtung der parallel zum Wienfluss verlaufenden Sammelkanäle sowie des Hauptsammelkanals am südlichen Ufer des Donaukanals. „Heute hat die Stadt Wien ein ausgeklügeltes Mischwassersystem, das Regenwasser und häusliches Abwasser über die Kanalisation zur Kläranlage befördert“, sagt die Hydrologin Julia Derx von der TU Wien. „Damit große Wassermassen nicht ungereinigt in den Fluss gelangen, gibt es entsprechendes Speicherpotenzial.“ Zudem kann in den großvolumigen Kanälen abschnittsweise ein Staubetrieb gefahren werden. Vieles davon passiert zu einem Großteil automatisiert gesteuert und überwacht.

Derx leitet gemeinsam mit Sílvia Cervero-Aragó von der Med-Uni Wien das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geförderte Projekt SwimCity zur Untersuchung der mikrobiologischen Qualität von urbanen Oberflächengewässern. „Wir entwickeln ein Simulationsmodell, um den Einfluss von Faktoren wie Städtewachstum und Klimawandel vorhersagen zu können.“ Im Zentrum stehen dabei, wie der Projekttitel bereits verrät, Wiens Badestellen, deren Wasserqualität durch Starkregen beeinflusst wird. Derx: „Durch die durch den Klimawandel bedingten intensiveren Hitzeperioden suchen mehr Menschen öfter Abkühlung, auch an Fließgewässern. Gleichzeitig kommt es zu zunehmend heftigeren Regenfällen.“

Letzteres reizt die Kapazitäten der Kanäle aus. Wird als Folge ein Teil des Abwassers in nahe gelegene Oberflächengewässer abgeleitet, können Fäkalien und Verunreinigungen in die Flüsse gelangen, und das Baden an Fließgewässern kann gefährlich werden. „Die Krankheitserreger können aber nicht nur über menschliche, sondern auch über tierische Exkremente, also den Kot von Haus- und Wildtieren, ins Wasser gelangen“, erklärt Cervero-Aragó. Etwa durch Abschwemmungen von Straßen und Dachflächen oder über landwirtschaftlich genutzte Gebiete bzw. Grünlandflächen.

Verunreinigungen zurückverfolgen

Das SwimCity-Planungstool, das im Zuge eines breiter angelegten vierjährigen Forschungsprojekts in den nächsten Jahren entwickelt werden soll, macht langfristige Vorhersagen über die mikrobiologische Wasserqualität und damit einhergehend den notwendigen Infektionsschutz möglich. Als Ausgangsbasis erheben die Forscherinnen, die am interuniversitären Kooperationszentrum (ICC) für Wasser und Gesundheit eine gemeinsame Schnittstelle haben, im Monatstakt die Wiener Gewässerqualität. Anschließend vergleichen sie die Durchschnittswerte mit den Ergebnissen von bei Starkregen entnommenen Proben.

Dabei misst ein Team der TU Wien um Rita Linke die Konzentration von genetischen Fäkalmarkern im Fluss, Cervero-Aragó untersucht Standard-Fäkalindikatoren sowie das Vorkommen des Krankheitserregers Cryptosporidium. Mittels DNA-Sequenzanalysen kümmert sich die Parasitologin Julia Walochnik (Med-Uni Wien) dann um die Genotypisierung dieser Krankheitserreger. Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, woher die Verunreinigungen kommen und wo neue Schutzmaßnahmen gesetzt werden müssen.

„Die bisherigen Analysen haben gezeigt, dass sich die Wasserqualität von Fließgewässern durch Verunreinigung bei Starkregen zwar rasch verschlechtert, aber ebenso schnell auch wieder normalisiert“, so Cervero-Aragó. Für diese Spitzen brauche es jedoch Lösungen wie zum Beispiel weitere Speicherbecken.

IN ZAHLEN

500 Millionen Liter Abwasser fließen täglich die Wiener Kanäle entlang und werden in der Hauptkläranlage gereinigt.

2500 Kilometer ist das städtische Kanalnetz lang, das entspricht in etwa der Entfernung Wien–Paris und zurück.

17 Wiener Badestellen sind bei der EU als offizielle Badegewässer gemeldet. Neun befinden sich an der Neuen Donau, sieben an der Alten Donau und eine am Mühlwasser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2020)

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