Wort der Woche

Die Suffizienz rückt ins Zentrum der Klimaschutz-Debatte

Die Suffizienz – die Suche nach dem „rechten Maß“ – rückt immer mehr ins Zentrum der Debatte um Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Es gibt drei Zutaten für eine nachhaltige Entwicklung. Die erste, Effizienz, zielt auf eine möglichst vollständige Nutzung von Ressourcen ab, sodass ein gewünschter Output mit geringstmöglichem Input erzielt werden kann. Das Streben nach Effizienz hat aber einen Pferdefuß: Häufig gehen Effizienzgewinne durch den Rebound-Effekt wieder verloren: Wenn Automotoren sparsamer werden, führt das nicht dazu, dass Autos weniger Sprit verbrauchen, sondern dass größere und stärkere gekauft werden.

Die zweite Strategie, Konsistenz, strebt eine Vereinbarkeit von Natur und Technik an: Die eingesetzten Ressourcen sollen möglichst umweltfreundlich sein, etwa durch den Ersatz von fossilen Treibstoffen durch biogene oder durch das Schließen von Stoffkreisläufen. Das Problem dabei ist, dass Alternativen knapp und obendrein teurer sind.

Aus diesen Gründen ist die dritte Strategie, die Suffizienz, ins Zentrum der Debatte gerückt. Abgeleitet vom lateinischen „sufficere“ (ausreichen) ist damit eine Verhaltensänderung hin zu einem Lebensstil gemeint, der weniger Ressourcen benötigt. Der Begriff wird oft als synonym zu Verzicht oder Askese missverstanden. Forscher sehen indes darin ein Finden des „rechten Maßes“, ein Vermeiden von Überflüssigem und einen klugen Umgang mit Ressourcen, der ein gutes Leben für alle ermöglicht. Suffizienz fordert z. B. keinen Verzicht auf Fleisch, sondern einen bewussten Konsum.

Forscher haben Kataloge von Grundbedürfnissen für ein modernes Leben entwickelt (zehn Quadratmeter Wohnraum und ein Handy für jeden, Heizung und Klimatisierung, 10.000 Kilometer Mobilität pro Jahr usw.), die nur einen Bruchteil der Energie verbrauchen. Würde die ganze Menschheit nach diesem Standard leben (was für uns Einschränkungen bedeuten würde, für Menschen im Globalen Süden hingegen eine starke Verbesserung ihrer Lebensumstände), würde der globale Energiebedarf auf ein Drittel sinken – auf ein Niveau wie 1960, obwohl die Welt heute fast dreimal so viele Bewohner hat (J. Millward-Hopkins et al., Global Environmental Change 65,102168; Nov. 2020).

Ein Beispiel, wie wichtig Suffizienz – zusätzlich zu Effizienz und Konsistenz – ist, zeigte diese Woche die Weltenergieagentur IEA in ihrem „World Energy Outlook 2020“: Durch drei nicht allzu große Veränderungen im Mobilitätsverhalten – keine Flüge unter einer Stunde, keine Autofahrten unter drei Kilometern, Verlangsamung des Straßenverkehrs um sieben km/h – könnten die CO2-Emissionen aus dem Verkehr um ein Fünftel gesenkt werden. ⫻

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

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