Reportage

Drogenmarkt im Umbruch: Suchtgift, 60- bis 80-mal stärker als Heroin

Neue synthetisch hergestellte Suchtmittel wie Fentanyl verdrängen Drogen aus traditionellem Anbau wie Hanf, Koka oder Mohn. Die Gefahr gesundheitlicher Folgen und einer wachsenden Zahl von Überdosistoten steigt.

Ein Berg aus Gift. Meterhoch türmten sich Plastiksäcke und Reisetaschen vor einem Lastwagen der US-Drogenbehörde. Die Drug Enforcement Agency (DEA) präsentierte den Medien vergangene Woche in ihrer Dependance im kalifornischen Montebello die größte jemals auf US-Boden sichergestellte Menge an synthetischen Drogen.

Im Osten des Großraums Los Angeles hatten die Behörden am 2. Oktober zwei Verstecke ausgehoben, in denen Dealer des Sinaloa-Kartells mehr als eine Tonne Metamphetamin gebunkert hatten. Dazu 405 Kilo Kokain und sechs Kilo Heroin. Und nur eine Woche später stoppten Zöllner an der Südgrenze einen mexikanischen Sattelschlepper, in dessen Laderaum legale und illegale Drogen gepackt waren. Die Drogenfahnder fanden 1367 Kilogramm Methamphetamin sowie 29 Kilogramm Heroin. Und: fast 30 Kilogramm Fentanyl – in Pulver und in gestreckten, falsch ausgezeichneten Pillen. „Was wir hier beschlagnahmt haben, wäre mehr als genug, um jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in den Vereinigten Staaten und in Mexiko eine Dosis harter Drogen zu verabreichen“, rechnete Bill Bodner, der DEA-Chef in Los Angeles bei der Präsentation vor. „Das ist eine gewaltige Menge.“

Und es ist ein deutliches Signal für die Entwicklung des Drogenmarktes in den USA. Wie auch ein Warnzeichen für Drogenbauern und -händler im südlichen Teil Amerikas, der seit Jahrzehnten Ursprung des großen Rausches im Norden ist. Die Coronagrenzschließungen, Passagierkontrollen, Flugstreichungen und Quarantänen in den meisten Staaten Süd- und Mittelamerikas im ersten Halbjahr dürften eine Entwicklung deutlich beschleunigen, die sich seit geraumer Zeit abzeichnet: Rauschgiftkonsumenten und Drogenhändler vollziehen einen epochalen Schwenk. Von Mitteln, die aus Naturprodukten wie Hanf, Kokablättern oder Mohnkapseln gewonnen werden, zu Pulvern aus chemischen Laboratorien.

Harsche Gegend, reich an Gewalt

Diese Entwicklung hinterlässt enorme Fragezeichen: in den abgelegenen Hängen, Tälern oder Hochebenen des südlichen Amerikas und in den Reichenvierteln der Hauptstädte, in denen die Organisatoren und die politischen Profiteure des illegalen Drogenhandels wohnen. Schon ehe Donald Trump am 21. März zur Virusabwehr die US-Südgrenze für den privaten Reiseverkehr schloss, hatte sich in den Hochtälern des goldenen Dreiecks der mexikanischen Bundesstaaten Sonora, Chihuahua und Sinaloa die Zukunftsangst ausgebreitet.

Eine harsche Gegend, arm an Regen und reich an Gewalt. Einst bauten die Campesinos hier Hanf an, doch dessen Rentabilität ließ in den letzten Jahren deutlich nach, nachdem mehrere US-Staaten wie Kalifornien und Colorado den Anbau von Cannabis de facto legalisierten. Darum schwenkten viele Produzenten zum Anbau von Schlafmohn über, den die mexikanischen Kartelle hernach zu Heroin aufbereiteten. Nach Angaben der DEA erreichte der mexikanische Mohnanbau im Jahr 2016 einen Höchststand von schätzungsweise 32.000 Hektar. Mit deren Ernte können 81 Tonnen reines Heroin produziert werden.

Diacetylmorphin wurde erstmals synthetisiert im Jahr 1898 vom Chemiker und Pharmazeuten Felix Hoffmann in den Bayer-Werken in Wuppertal-Elberfeld und zunächst unter dem geschützten Markennamen „Heroin“ verkauft – als Allheilmittel gegen mehr als 40 Leiden und als „nicht süchtig machendes Medikament“ gegen die Entzugssymptome von Opium und Morphin. 1913 verboten, kam es zurück in die USA mit den aus Europa und Vietnam heimkehrenden Soldaten. 1971 erklärte Richard Nixon der „French Connection“ und der sizilianischen Mafia den „Krieg gegen die Drogen“. Danach wurde der Downer aus der Mohnkapsel fast vollständig verdrängt vom Wachmacher aus dem Kokastrauch. In den 1980ern verfielen erst Amerikas Reiche und dann auch die Mittelklasse dem Kokain. Und die Armen dessen höllischer Ausgeburt – dem Crack.

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