Morgenglosse

Bitte keinen Abgesang auf die Eigenverantwortung

APA/HELMUT FOHRINGER
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Viele Menschen in Österreich nehmen bereits jetzt Einschränkungen in Kauf. Ausreichend ist das offensichtlich nicht. Attraktive Alternativen zur Eigenverantwortung fehlen aber.

Wer in Wien ins Theater oder in Konzerte geht, kennt das. Vor Beginn der Vorstellung weist der Veranstalter darauf hin, dass es erlaubt ist, die Maske am Platz abzunehmen. Es folgt eine kurze Empfehlung, den Mund-Nasen-Schutz auch während der Vorstellung zu tragen. Sie kommt ganz ohne schulmeisterliche Belehrungen aus und trotzdem bleibt die Maske bei geschätzt neun von zehn Zuschauern oben, quer durch alle Altersklassen. Das ist während mehrstündigen Aufführungen keine Selbstverständlichkeit, aber Live-Kultur ist das in Pandemie-Zeiten eben auch nicht. Das Problembewusstsein ist hier seit dem „lockeren“ Sommer merklich gestiegen. Bei den Salzburger Festspielen etwa waren die Empfehlungen der Veranstalter dieselben, trotzdem blieb der Großteil der Masken im Publikum unten. Wozu das führen kann, zeigte unlängst ein Jodel-Konzert in der Schweiz mit explodierenden Infektionszahlen.

Dass die Lage heute eine andere ist als im Sommer, ist den meisten bewusst, das zeigt sich überall, auch in den Öffis, wo die Maske nur noch selten bei Fahrgästen locker am Kinn baumelt. Ausreichend ist das alles offensichtlich nicht: Die Fallzahlen knacken fast täglich neue Rekorde, es gibt wieder mehr belegte Intensivbetten, und Bund und Länder beraten heute über schärfere Maßnahmen. Ein zweiter Lockdown soll verhindert werden. Das ist auch machbar: Man weiß viel mehr über das Virus als noch vor acht Monaten und kann gezielter auf die Ausbreitung reagieren. Allerdings: Je mehr Verschärfungen in einzelnen Teilbereichen beschlossen werden, umso schwieriger wird es auch, deren Einhaltung lückenlos zu überwachen. Es gibt vorerst also keine attraktiven Alternativen zur Kooperation von Bevölkerung und Unternehmen. Was diese erheblich erleichtern würde – und was in den vergangenen Monaten oft gefehlt hat – sind gute Informationskampagnen und eine klare Begründung der Maßnahmen (oder auch der Lockerung ebendieser) durch die Politik. Möglichst ehrlich und möglichst ohne Moralpredigt.

Eine Rede wie jene von Sebastian Kurz am Sonntag war längst überfällig. Er betonte, dass jeder Einzelne etwas beitragen muss, damit das Gesundheitssystem nicht an die Kapazitätsgrenzen stößt. Alles andere wäre fatal. Denn wer jetzt einen Abgesang auf die Eigenverantwortung anstimmt, sagt damit auch, dass Österreich nur schwerst beschädigt aus dieser Krise hervorgehen wird.

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