OECD-Bericht

"Integrationskrise": Das Coronavirus bremst die Migration

Honduranische Migranten in Guatemala auf dem Weg nach Mexiko und weiter zur US-Grenze.
Honduranische Migranten in Guatemala auf dem Weg nach Mexiko und weiter zur US-Grenze.APA/AFP/JOHAN ORDONEZ
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Der "Migration Outlook“ sieht einen starken Rückgang während des ersten Halbjahres 2020 aufgrund der Coronakrise.

Die Zahl jener Menschen, die sich in OECD-Ländern niederlassen, ist im vergangenen Jahr stabil geblieben. 2019 wanderten in etwa gleich viele Personen wie bereits 2018 - rund 5,3 Millionen Menschen - in Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein, wie der am Montag veröffentlichte "Migration Outlook" der OECD zeigt. Für 2020 sagen die Experten aufgrund der Corona-Pandemie einen "historischen" Tiefstand voraus.

Um durchschnittlich 46 Prozent sank die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen in OECD-Ländern im ersten Halbjahr 2020. Das werde wohl auch der erwartete Anstieg der Migrationsbewegungen im zweiten Halbjahr 2020 in der Gesamtjahresstatistik nicht wieder ausgleichen, heißt es in dem Migrationsausblick.

„Historischer Rückgang"

Im zweiten Quartal 2020 betrug der Rückgang sogar 72 Prozent: in Österreich waren es 40 Prozent. Der OECD-Experte Thomas Liebig sprach am Montag bei der Präsentation des OECD-Migrationsausblick 2020 von einem "historischen Rückgang".

Gleichzeitig warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aber vor einer Integrationskrise, weil gerade Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund von der Pandemie besonders stark betroffen seien. Das Infektionsrisiko sei zwei- bis dreimal so hoch als bei im Inland Geborenen, sagte Liebig. Das liege daran, dass Migranten häufiger in beengten Wohnverhältnissen und in stärker bewohnten Gegenden wohnen, mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen, weniger Zugang zu Telearbeit haben und häufiger in systemrelevanten Berufen tätig seien.

Zugewanderte Arbeitskräfte stellen im OECD-Raum einen großen Teil des medizinischen Fachpersonals: Im Durchschnitt stamme ein Viertel der Ärzteschaft aus dem Ausland - in Deutschland etwa ein Fünftel, in Österreich ein Sechstel und in der Schweiz sogar fast die Hälfte. Ähnlich sieht es bei den Krankenpflegekräften aus: Ein Fünftel von ihnen in Österreich ist Immigrant - ein Sechstel in Deutschland und ein Drittel in der Schweiz. Außerdem stellen Zuwanderer in vielen OECD-Ländern über ein Drittel der Beschäftigten im Verkehr, im Reinigungsgewerbe, in der Nahrungsmittelindustrie und bei IT-Dienstleistungen. In Österreich liege ihr Anteil in diesen Sektoren jeweils bei mindestens einem Viertel.

Auf dem Arbeitsmarkt hätten Migranten durch die Coronakrise allerdings mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen. Zuwanderer hätten ein höheres Risiko, Arbeitslosigkeit ausgesetzt zu sein, so Liebig. In allen Ländern, für die Daten verfügbar sind, ist die Arbeitslosigkeit unter den Zugewanderten laut OECD stärker gestiegen als unter den im Inland Geborenen. In Österreich entfielen 41 Prozent des anfänglichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit auf Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. "Das gilt in Deutschland und Österreich besonders für Flüchtlinge." Als Gründe führte der Experte etwa instabile Arbeitsverhältnisse und eine kürzere Betriebszugehörigkeit von Migranten an. Gleichzeitig erklärte er: "Diskriminierung nimmt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu." Für das Finden eines neuen Arbeitsplatzes würden Netzwerke wichtig, über die Neuzugewanderte weniger verfügen.

Kaum Veränderung von 2018 auf 2019

2019 blieb die Zahl der Einwanderer im OECD-Durchschnitt im Vergleich zu 2018 zwar fast genau gleich, es gab jedoch erhebliche regionale Unterschiede. Denn während Österreich, die USA oder Deutschland einen Rückgang verzeichneten, stiegen die Zahlen in Spanien - vor allem wegen der Zuwanderung aus Südamerika - oder etwa Japan signifikant an.

In Österreich haben sich 2018 87.000 neue Einwanderer langfristig oder permanent niedergelassen - das sind um fast zwölf Prozent weniger als im Jahr davor. Rund 65 Prozent davon sind Personen, die Personenfreizügigkeit genießen, nur 6,4 Prozent sind Arbeitsmigranten, knapp elf Prozent kamen im Zuge von Familienzusammenführung. Der Anteil jener, die aus humanitären Gründen bleiben dürfen, betrug nur 17,2 Prozent.

Österreich: Anstieg 2019, aber weit unter Rekordjahr

Die Zahl der Asylanträge stieg 2019 erstmals nach zwei Jahren des Rückgangs wieder um elf Prozent an, lag aber noch immer weit unter den Rekordjahren 2015/2016. Rund die Hälfte der 1,2 Millionen Anträge wurden in europäischen OECD-Ländern gestellt. Mehr als 20 Prozent der Asylwerber stammten aus Afghanistan, Venezuela und Honduras. Auch in Österreich wurde im vergangenen Jahr ein Rückgang bei Asylanträgen registriert: 2019 suchten in der Alpenrepublik rund 11.000 Menschen - und damit um 7,1 Prozent weniger - um Asyl an. Syrien, Afghanistan und der Iran zählten zu den Top-Herkunftsnationen.

Sowohl permanente als auch temporäre Arbeitsmigration in die OECD-Länder stieg im vergangenen Jahr an. Bei zeitlich begrenzter Auswanderung zu Arbeitszwecken, die bereits 2018 zunahm, war Polen vor den USA Top-Empfängernation.

Die Coronakrise habe nicht nur auf die Wanderbewegungen Auswirkungen gehabt, Migranten seien den Gefahren der Pandemie teils "weit überproportional" ausgesetzt, sowohl im Hinblick auf ihre Gesundheit als auch auf die Auswirkungen am Arbeitsmarkt, konstatierte die OECD in dem Bericht. Die Pandemie habe aufgezeigt, wie wichtig Migranten und deren Schaffen für das Funktionieren einer Gesellschaft sei, erinnerten die Experten an die zahlreichen migrantischen Erntehelfer oder Pflegerinnen.

(APA)

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