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„Rebecca“ auf Netflix: Das Gespenst der toten Exfrau

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Rebecca FilmKerry Brown / Netflix
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Ben Wheatley hat Daphne Du Mauriers unheimlichen Roman neu verfilmt. Manches gelingt ihm dabei fast besser als einst Alfred Hitchcock.

Die Trauer um einen Verlust kann exzessiv ausfallen oder verweigert werden. Letztlich erzeugt beides denselben Effekt. In „Rebecca“ trauert die Haushälterin Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas) obsessiv um ihre bei einem Segelunglück ums Leben gekommene Herrin Mrs. De Winter. Zu behaupten, sie führe eine Liebesbeziehung mit einem Gespenst, ist keine Übertreibung. Die Zimmer der Verstorbenen hat sie im Zustand kurz vor ihrem Tod belassen. Ihre geschwungenen Initialen zieren weiter jedes Taschentuch und Briefpapier. In der Bürste befinden sich sogar noch Büschel ihres schwarzen Haars.

Der vornehme englische Hausherr Maxim de Winter (Armie Hammer) hüllt sich hingegen in auffälliges Schweigen oder verliert die Contenance, wenn er an seine dahingeschiedene Gattin erinnert wird. Sein zwanghaftes Bemühen, ihre ausgelöschte Existenz durch Urlaube auf dem europäischen Festland und die Heirat mit einer neuen Frau zu verdrängen, hat zur freudianisch voraussehbaren Konsequenz, dass er sich von der Toten regelmäßig heimgesucht fühlt wie von einem lästigen Gespenst.

Beide Hinterbliebenen befinden sich im Bann eines keineswegs phantastischen, sondern rein psychologischen Spuks – das eigentliche Opfer dieser unheilvollen Sozialdynamik ist jedoch die zweite Ehefrau, ein argloses junges „Fräulein“ niederer Klasse, die für eine verwöhnte Amerikanerin (wir schreiben die späten 1930er-Jahre, als Frauen wie ihr kaum eine andere Berufswahl übrig blieb) als Gesellschafterin arbeitet, bevor sie unverhofft ihren Märchenprinzen kennenlernt. Entgegen der Märchenlogik beginnt aber erst mit dem Umzug der niemals namentlich genannten Heldin (Lily James) in das entrückte Prachtschloss des Aristokraten ihr eigentliches Martyrium.

Sie bemerkt die Konservierung aller Spuren ihrer Vorgängerin im Haus und hört die Lobpreisungen von Stammgästen auf die mondäne und makellose Schönheit der Verstorbenen. Bald keimen in ihr Gefühle der Unzulänglichkeit und Eifersucht, die von der intriganten Haushälterin durch eine Reihe von zuerst subtilen und später offen sadistischen Psychospielchen noch angefacht werden. Obwohl sie ihre Rivalin nie kennenlernte und nirgends ein Foto von ihr hängt, wird sie vom selben Gespenst verfolgt. Der Unterschied ist nur, dass sie es (genau wie das vergeblich auf eine Rückblende wartende Publikum) mit keinem äußeren Erscheinungsbild verknüpfen kann – frei nach Augustinus: „Unsere Toten sind nicht abwesend, sondern nur unsichtbar.“

Ein packender Psychothriller

Es leuchtet ein, dass sich schon Alfred Hitchcock für den gleichnamigen Roman von Daphne Du Maurier begeisterte, auf dem seine Oscar-prämierte Verfilmung von 1940 basiert. Der toxische Einfluss von Toten auf das Handeln, Denken und Fühlen von labilen Lebenden ist immer ein bevorzugtes Thema des Suspense-Maestros gewesen (man denke nur an „Vertigo“ oder „Psycho“). Sein erster Hollywoodfilm sollte aber ein massentaugliches Melodram werden, deshalb hielt sich Hitchcock seinerzeit mit drastischem Psychohorror zurück. Regisseur Ben Wheatley, der durch trockenhumorige („Kill List“), visionäre („A Field in England“) und abstrakte Milieustudien („High Rise“) bekannt wurde, erzählt dieselbe Geschichte in seiner aktuellen Adaption stärker am rasanten Puls seiner verliebten Protagonistin, die zwischen aufzehrender Hingabe und permanenter Trennungsangst taumelt.

Die Verkettung der jeweiligen Wahnvorstellungen seines überschaubaren Figurenensembles gelingt Wheatley fast noch besser als Hitchcock, weil er sich vor Zuspitzungen in Form von surrealen Traumsequenzen und pointierten Schockmomenten nicht scheut, die elegante Unheimlichkeit des Originals aber dennoch bewahrt. Das Ergebnis ist ein packender, stilbewusster Psychothriller in rauem Zeitkolorit. Vernachlässigt wirkt nur das feministische Potenzial der Geschichte, die man noch stärker als Kampf gegen die Gespenster eines alten Geschlechterglaubens hätte inszenieren können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2020)

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