Management

Von de Gaulle lernen

Porträt von Charles de Gaulle
Porträt von Charles de Gaulleimago images/ITAR-TASS
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Kolumne "Hirt on Management": Folge 135. Was Manager vom französischen Staatsmann Charles de Gaulle lernen können.

Charles de Gaulle (1890-1970) war ein französischer General und Staatsmann, der im Zweiten Weltkrieg den Widerstand Frankreichs anführte und danach Präsident der Provisorischen Regierung (1944-46) und erster Präsident der 5. französischen Republik (1959-69) war.

De Gaulle, der, wie jede große Persönlichkeit, natürlich nicht ohne Kritikpunkte ist, wird von der überwiegenden Mehrheit der Kommentatoren, als einer der größten Franzosen der Geschichte gewürdigt, der mit Weitblick und Entschlossenheit das Land und seine Rolle in der Welt, bis heute geprägt hat.

Weitblick und Überblick

De Gaulle entstammte einer langen Linie von Intellektuellen und Staatsdienern, sein Vater Henri war Lehrer und zuletzt Schuldirektor seiner eigenen Privatschule.

De Gaulle erhielt eine umfassende humanistische, vor allem historische und klassische Bildung, die ihm, in Verbindung mit seinen außerordentlichen Fähigkeiten zum abstrakten und konzeptionellen Denken, ermöglichte, Probleme und Herausforderungen mit einem beeindruckenden Weitblick und Überblick zu betrachten, um dann daraus konkrete Handlungen abzuleiten.

Er konnte also, um es in heutiger Sprache zu formulieren, auf 10.000 m Flughöhe aufsteigen, das Problem analysieren, und dann auf Bodenebene herunterkommen, um die konkreten Maßnahmen zu setzen, die sich aus seiner Analyse ergaben.

Hier ein konkretes Beispiel: De Gaulle erkannte und sprach bereits 1940 aus, dass die Niederlage Frankreichs auf dem europäischen Kernstaatsgebiet, nur ein Zwischenrückschlag war und letztendlich die überlegene industrielle Leistungsfähigkeit der Alliierten, den Weltkrieg zu ihren Gunsten entscheiden würde.

Auch die Dekolonisierung, den Zusammenbruch des Kommunismus, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Nichteignung Großbritanniens für eine Mitgliedschaft in der EU, hatte De Gaulle klar erkannt und ausgesprochen.

Die großen Zusammenhänge, historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und das „Endgame“ zu verstehen, um daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten, ist für Manager und Managerinnen an der Spitze von Organisationen unerlässlich.

Die Bedeutung der Umstände

Als Mann der Tat verband De Gaulle die Fähigkeit zum abstrakten und konzeptionellen Denken, mit der Fähigkeit zu Pragmatismus und Agilität bei der Reaktion auf die konkreten, vor ihm liegenden, Umstände.

Letztendlich gab es aus seiner Sicht bei der Entscheidung über eine Handlung nichts Wichtigeres, als die konkreten Umstände und Notwendigkeiten nüchtern zu erkennen und diesen angemessen zu handeln.

Mit besonderer Schärfe wird das klar, wenn man seine Vorgangsweise bei der Dekolonisierung Algeriens ab 1958 betrachtet.

De Gaulle erkannte, dass die Unabhängigkeit Algeriens historisch nicht aufzuhalten war und schreckte nicht vor Täuschung und massiver Manipulation zurück, um letztendlich das noch größere Übel, als den Rückzug aus Algerien, nämlich einen Bürgerkrieg in Frankreich und nicht mehr einzuholenden Rückschlag für seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, während Deutschland im Wirtschaftswunder nach vorne preschte, abzuwenden.

Und nur zur Sicherheit: es ging De Gaulle dabei nicht, um die schnöde Konkurrenz zwischen Deutschland und Frankreich, sondern er sah ein starkes Frankreich als wichtiges kontinentales Gegengewicht zu Deutschland, zur Sicherstellung des Friedens in Europa.

Die Bedeutung der Sprache

Als Intellektueller und Offizier hat sich De Gaulle bereits früh durch seine Bücher und Vorträge Aufmerksamkeit verschafft.

Als Staatsmann war er für seine Reden, insbesondere in Radio und Fernsehen legendär, seine Pressekonferenzen waren Ereignisse, die Journalisten schlugen sich fast, um dort einen Platz zu ergattern.

Schreiben und öffentliches Reden fiel ihm an sich nicht leicht, er musste sich darauf exzessiv vorbereiten, war sich aber der Bedeutung und Wirkung dieser Auftritte bewusst und bereit, die vielen Stunden der Vorbereitung zu investieren.

Unglaubliches Durchhaltevermögen

Wenn man den Lauf seines Lebens betrachtet, dann kommt man nicht umhin zu bewundern, welch unglaubliches Durchhaltevermögen de Gaulle in allen Widrigkeiten und Rückschlägen hatte.

Er unterlag zum Beispiel im Jahr 1946 und den Folgejahren mehreren schweren, innenpolitischen Fehleinschätzungen und entsprechenden Rückschlägen, die dazu führten, dass er zwölf Jahre lang, von 1946 bis 1958 im Abseits der französischen Politik stand, eine Situation die für einen Mann seiner Klarsicht und Tatkraft eigentlich unerträglich war.

Man muss weiter bedenken, dass er 1958 bereits 68 Jahre alt war und bis dahin warten musste, um wieder eine Schlüsselrolle in der französischen Politik zu spielen, während seine biologische Uhr unaufhaltsam weiter tickte.

Aber auch davor, von 1940 bis 1946 musste er unglaublichen Belastungen und unglaubliche Druck standhalten, um sich durchzusetzen.

Wäre eher als Führer des französischen Widerstands gescheitert oder abgesetzt worden, was zigmal im Raum stand, wäre auch sein persönliches Leben und das seiner Familie im Wesentlichen vorbei gewesen.

Er war vom Vichy-Regime, das mit Deutschland kollaborierte, in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Auch ohne diesem Damoklesschwert, kann man sich de Gaulle nach einem Scheitern schwer als jemanden vorstellen, der wieder in den Rang zurücktritt und als braver mittlerer Offizier und Administrator seinen Dienst versieht.

Sendungsbewusstsein

Möglich war das alles nur, weil sich de Gaulle mit einer spezifischen Aufgabe für Frankreich beauftragt sah, die nur er zur Ehre Frankreichs erfüllen konnte und auch erfüllen musste.

Dieses Sendungsbewusstsein und besondere Bild von Frankreich, das letztendlich in der französischen Geschichte bis auf Johanna von Orléans, und noch weiter, zurückgeht, gab ihm die Kraft und den Antrieb für sein Handeln.

Hier zeigt sich wieder die hohe Bedeutung der von innen kommenden Motivation und der Schlüsselaufgabe der Führungskraft, diese bei sich selbst frei zu legen und zu entwickeln.

Konfliktfähigkeit und Bereitschaft zur Konfrontation

De Gaulles Konfliktbereitschaft und Bereitschaft zur Konfrontation sind legendär.

Bei manchen Besprechungen von De Gaulle mit dem britischen Premier Churchill bestand unter den engsten Mitarbeitern der beiden sogar die Sorge, dass die Besprechung in eine tätliche Auseinandersetzung ausarten würde, was allerdings nie passierte.

Er ist da wohl mit seinem gallischen Sinn für die pointierte Formulierung, scharfe Retorte und kunstvolle Polemik oft zu weit gegangen und hat damit in vielen Fällen übers Ziel geschossen und (auch taktisch) unnötige Verletzungen zugefügt, aber die Grundidee dem anderen argumentativ die Stirn zu bieten, insbesondere und sogar trotz einer Position der eigenen Schwäche, ist vorbildhaft.

Die Bedeutung der Fortune

Nicht zuletzt hat de Gaulle auch das sprichwörtliche Glück des Tüchtigen gehabt, die Fortune, ohne die der Mann der Tat verloren ist.

Hätte Churchill ihm, wenn auch in einer sehr stürmischen Ehe, nicht die Stange gehalten, dann hätte der US-amerikanische Präsident Roosevelt, de Gaulle zigmal abserviert und de Gaulle wäre als obskurer französischer General in den Abgründen der Geschichte untergegangen.

Wir müssen in aller Demut erkennen, dass die Welt ein komplizierter Platz ist und wir für den Erfolg auch Glück benötigen, das aber die Tüchtigen auch wissen zu schmieden.

Das Wichtigste in Kürze

Weitblick und Überblick gepaart mit realitätsorientiertem und pragmatischem Handeln, gekonnter Rhetorik, Sendungsbewusstsein, Konfliktbereitschaft und eine gehörige Prise Fortune stehen auch der Führungskraft von heute nicht schlecht zu Gesichte.

In der nächsten Kolumne lesen Sie, was wir von den alten Griechen, insbesondere der griechischen Demokratie, für die heutige Organisationsentwicklung lernen können.

Schicken Sie Ihre Fragen an Michael Hirt an: karrierenews@diepresse.com

Die Fragen werden anonymisiert beantwortet.

Ausblick: Die nächste Kolumne von Michael Hirt erscheint am 5. November 2020 zur Frage: Von den alten Griechen lernen. Warum Sie immer wieder mal einen Mitarbeiter feuern sollten.

Hier finden Sie die gesammelten Kolumnen.

Michael Hirt ist Managementexperte und -berater, Executive Coach, Keynote Speaker und Buchautor. Hirt verhilft Führungskräften zu außergewöhnlichen Leistungs- und Ergebnissteigerungen, mit hoher Auswirkung auf den Erfolg ihres Unternehmens. Er studierte in Österreich, den USA (Harvard LPSF) und Frankreich (INSEAD MBA) und ist weltweit tätig.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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