Die Ich-Pleite

Lippenstift samt Flecken

Carolina Frank
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Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich kann die verführerischen Lippenstiftfarben nicht anschauen, ohne an die Flecken zu denken, die sie auf meinen Gesichtsmasken hinterlassen werden.

Früher fanden wir Lippenstiftspuren auf Männerhemdkrägen, jetzt finden wir sie auf Gesichtsmasken. Derzeit werben die Kosmetikfirmen mit den neuen Herbst-Winter-Lippenstiftfarben. Satte, kräftige Rottöne. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich kann die verführerischen Farben nicht anschauen, ohne an die Flecken zu denken, die sie auf meinen Gesichtsmasken hinterlassen werden. Womöglich eine Zwangsstörung. Mir würde es helfen, wenn man zu jedem Lippenstift gleich eine Lippenstift-Entfernungsanweisung bekäme.

Ich fürchte, in diesem Winter wird sich jede zweite Frau überlegen, den Lippenstift gleich wegzulassen. Den einzigen Bürokollegen, dem man sich ohne Maske zeigen darf, will man nicht beeindrucken. Und das Angehimmeltwerden im öffentlichen Raum hat sich sowieso schon längst aufgehört. Man weiß nicht, was zuerst da war: die über Smartphones gebeugten Köpfe oder die Partnersuche im Internet. So oder so lohnt sich das Aufschauen derzeit nicht.

Von Zeit zu Zeit ändern sich eben die Paarungsrituale. Man bietet ja auch nicht mehr Fleisch gegen Sex an, wie das die Primaten machen. Oder wird am Heiratsmarkt gegen die höchste Mitgift verscherbelt wie weiland unsere Urgroßeltern. Die Pandemie bringt vielleicht nur eine weitere evolutionäre Entwicklungsstufe. Vielleicht nicht unbedingt in Richtung mehr sexuelle Aktivität. Eher im Gegenteil. Für Bonobos soll Sex ja wie Händeschütteln sein, auf der Pandemie-Entwicklungsstufe werden nicht einmal mehr Hände geschüttelt. Aber jetzt fällt mir doch noch ein Verwendungszweck für den neuen Lippenstift ein: Zuhause auftragen, Selfie machen, auf die App stellen und hoffen, dass man in die richtige Richtung gewischt wird.

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