Konzertkritik

Lieder der hellsichtigen Trauer: Mariza in Wien

Geboren 1973 in Mosambik, seit 1976 in Portugal: Mariza, Weltstar des Fado.
Geboren 1973 in Mosambik, seit 1976 in Portugal: Mariza, Weltstar des Fado.Warner
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Mariza zeigte im Konzerthaus, dass sie heute die wichtigste Botschafterin des Fado - und legitime Erbin von Amalia Rodrigues - ist.

„Wenn man hellsichtig ist, ist man traurig. Der Fado ist traurig, weil er hellsichtig ist“, sagte Amalia Rodrigues, die 1999 im Alter von 79 Jahren verstorbene Regentin des Fado. Doch bei aller Schmerzverliebtheit war sie keine, die sich alles gefallen ließ. Zurecht gilt sie als Ikone weiblicher Selbstbestimmung. Und das in der portugiesischen Macho-Gesellschaft.
Heute trägt Mariza das Staffelholz der Emanzipation. Und des Fado.

Die in Mosambik geborene Sängerin mit dem blonden Bubikopf begeisterte in der New Yorker Carnegie Hall ebenso wie im Pariser Olympia. Kenner mögen streiten, ob Kolleginnen wie Misia oder Carminho womöglich subtiler intonieren, außer Diskussion steht, dass Mariza jene Sängerin ist, die das Genre aus dem Sehnsuchtsraum des Privaten holt und es teilweise (frauen)politisch werden lässt.

Absage an das närrische Herz

Auch im Eingangsstatement ihres (coronabedingt) zweiten Konzerts an diesem Abend: „Estranha Forma De Vida“, ein Klassiker von Amalia Rodrigues. Ein Lied wie ein Entwicklungsroman. Zu sanften Klängen der portugiesischen Gitarre entrollte Mariza zunächst ein liebeskrankes Szenario: Die Protagonistin interpretiert Angst und Schmerz als gottgegeben. Sie klagt über ihr stur blutendes Herz, das zu befehligen ihr unmöglich scheint. Erst in der letzten Strophe erfolgt die Wende. Mariza, die der Musik mit beständiger Gestikulation einen Subtext verpasste, stand jetzt mit beiden Beinen fest am Bühnenboden. Ein kurzes Innehalten, als ob das große Gefühl Luft holen würde, und dann erbebte ihre glockenhelle Stimme im Modus des Widerstands: „Eu não te acompanho mais!“ Ich folge dir nicht mehr, närrisches Herz: Sich vom eigenen Gefühl zu befreien, das ist fürwahr ein Akt der Emanzipation.

Am 20. November erscheint Marizas Tributalbum an Amalia Rodrigues. Drei Lieder daraus sang sie, dazu „O Gente Da Minha Terra“. Stets gelang ihr, den Fatalismus dieser alten Kunst zeitgenössisch klingen zu lassen. Die Anfänge des Fado sind ja im Nebel der Geschichte nur schemenhaft erkennbar. Maurisches, Afrikanisches und Brasilianisches sind in diesem melancholischen Mix. So unterschiedlich die Wurzeln, so klar ist das Ziel dieser Musik: Sie will trösten, selbst wenn es völlig aussichtslos ist. Was Mariza in ihrer geheimnisvollen Modulation kommunizierte, war jedenfalls, dass Gefühle stets gemischte Gefühle sind. Und dass noch in der schlimmsten Tragik unverhoffte Leichtigkeit aufkommen kann. Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten. Nach den intensiven Gefühlsbädern Marizas gab es kein Zurück in Indifferenz. Nur Standing Ovations.

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