Kolumne zum Tag

Die Verschiebung des Mittelpunkts

Wenn der Sport in den Fokus rücktund dem Tag Struktur schenkt.

Es ist, als ob man im Leben in unregelmäßigen Abständen Geodreieck und Zirkel zur Hand nehmen würde, um einen neuen Mittelpunkt zu vermessen. Für eine gewisse Zeit wird dann ein anderer Fokus gesetzt. In der Jugend verschiebt sich dieser häufig in Richtung Partys. Im Erwachsenenleben pendelt er sich meist zwischen Arbeit und Familie ein. In meinem Fall ist zuletzt der Freizeitsport ins Zentrum gerückt.

In meiner viermonatigen Bildungskarenz wurde das Training nicht schnell-schnell vor der Morgenbesprechung erledigt, nicht zwischen zwei Terminen hineingepresst oder ermüdet nach der Arbeit abgespult. Der Sport ist in dieser weniger stressigen Zeit der Tagesmittelpunkt gewesen. Vieles wurde sorgfältig um ihn gereiht. In Büchern habe ich über den idealen Konditionsaufbau gelesen, am Sportplatz die entsprechenden Trainingspläne befolgt und alles fein säuberlich im Notizblock notiert. Der Sport hat dem Tag Struktur und dem Ehrgeiz eine Spielwiese gegeben und ganz nebenbei auch das Ego etwas gestärkt.

Ein bisschen hat das sogar Druck aufgebaut. In seiner wohl positivsten Form. Ich joggte nicht nur langsam durch die Gassen. Ich drehte meine Runden mit Blick auf die Uhr auf der Tartanbahn. Ich kämpfte mich über 400 und 800 Meter. Oft spornte ich mich dabei selbst zu großen Anstrengungen an. Und ab und zu mahnte ich dann doch ein bisschen mehr Gelassenheit ein. Denn im Zentrum sollte doch nicht die Leistung, sondern der Spaß an der Bewegung stehen.

Zurück im Berufsalltag wird wieder neu vermessen. Schnell wurde der Sport aus dem Mittelpunkt des Tages verdrängt. Der wichtigste Punkt, um für einen inneren Ausgleich zu sorgen, wird er dennoch bleiben. Deshalb werden nun, nach getaner Kolumnen-Arbeit, auch die Laufschuhe geschnürt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2020)

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