Wirtschaftsminister Altmaier erwartet 20.000 Neuinfektionen Ende der Woche. Eine Zahl, die vor kurzem noch als pessimistische Zahl für die Weihnachtszeit galt. Bund und Länder müssen sich noch auf Prioritäten einigen.
Deutschland steht in der Corona-Krise vor einschneidenden neuen Einschränkungen: Einen Tag vor den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder warnt die Bundesregierung vor einem ungebremsten Anstieg der Neuinfektionen. In Regierungskreisen wurde am Dienstag von einem drohenden "kompletten Kontrollverlust" wie in EU-Nachbarstaaten gesprochen.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier geht davon aus, dass Deutschland schon Ende der Woche 20.000 Neuinfektionen am Tag verzeichnen wird. Vize-Kanzler Olaf Scholz sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung. Beide forderten ebenso wie CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus zusätzliche Maßnahmen, um die Ausbreitung der Pandemie rasch einzugrenzen. "Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass wir Kontakt- und Bewegungsbeschränkungen bekommen", sagte Brinkhaus. Die Wirtschaft warnte dagegen vor neuen Einschnitten.
Entscheidende Frage wird nach Angaben aus der Regierung sein, ob es Bund und Ländern gelingt, ein einheitliches und hartes Vorgehen zu vereinbaren. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dringt nun statt auf regionale Antworten auf bundesweite Beschlüsse. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Dienstag 11.409 Neuinfektionen - fast den doppelten Wert wie vor einer Woche. Ende September hatte Bundeskanzlerin Merkel noch gewarnt, es könne bis Weihnachten 19.200 Neuinfektionen am Tag geben. Diese Prognose galt damals als pessimistisch. Nun wird die Zahl möglicherweise bereits Ende Oktober erreicht. Auch die Intensivstationen füllen sich langsam mit mehr Patienten. Wenn man die Kontrolle verliere, wären sehr schnell sowohl die Kapazitäten bei Tests, Medikamenten als auch den Betten in den Kliniken erschöpft, heißt es in der Regierung.
Welche Bereiche werden als erstes betroffen sein?
"Jetzt sind schnelle und entschlossene Schritte nötig, um diese neue Infektionswelle zu brechen", forderte Finanzminister Scholz deshalb. "Die zusätzlichen Maßnahmen sollten zielgerichtet, zeitlich befristet und fokussiert sein. Und sie sollten deutschlandweit möglichst einheitlich getroffen werden und allgemein verständlich sein." Auch Merkel betonte, dass Einschnitte zeitlich befristet sein sollten. In der Regierung hieß es, man müsse die Kontakte zwischen Menschen in Deutschland "drastisch" und für mehrere Wochen herunterfahren. Oberste Priorität müsse der Gesundheitsschutz haben, dann kämen der Schutz der Wirtschaft und das möglichst lange Offenhalten von Schulen und Kindergärten, sagte Brinkhaus. Alles andere stehe zur Disposition.
"Lieber jetzt konsequent handeln als einen schleichenden Prozess wie in anderen Ländern haben", sagte Brinkhaus mit Blick auf die bereits sehr viel schlechtere Pandemie-Lage in EU-Nachbarländern. Deshalb wird mit neuen Restriktionen für Veranstaltungen und Restaurants, aber auch bei Treffen von Privatpersonen gerechnet. Schulen und Kitas würden, sofern überhaupt nötig, als letzte Einrichtungen geschlossen, sagte auch Bayerns Ministerpräsident Söder.
Das Problem der Bundesregierung besteht darin, dass die Länder für die Umsetzung der meisten Maßnahmen zuständig sind. Kritiker bemängeln einen Flickenteppich, der für Bürger nur schwer verständlich sei.
(APA/Reuters)