Morgenglosse

Das ungeheuerliche Nachspiel einer Enthauptung

Eine junger Mann steigt bei einer Demonstration an der palästinischen Technischen Universität in al-Aroub auf das Bild des französischen Staatspräsident Emmanuel Macron.
Eine junger Mann steigt bei einer Demonstration an der palästinischen Technischen Universität in al-Aroub auf das Bild des französischen Staatspräsident Emmanuel Macron.APA/AFP/HAZEM BADER
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Die Mohammed-Karikaturen vernebeln den Verstand: Ein islamistischer Jugendlicher köpft einen Lehrer nahe Paris, und Erdogan stilisiert weltweit Muslime zu Opfern.

Der Mord hat ganz Frankreich und weite Teile der zivilisierten Welt tief erschüttert. Denn das barbarische Verbrechen rührte an Grundfesten freier und offener Gesellschaften. Ein 18-jähriger Tschetschene köpfte am 16.Oktober in einem Vorort von Paris einen Geschichtelehrer namens Samuel Paty, der im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, um so eine Diskussion über (die Grenzen der) Meinungsfreiheit anzuregen. Der Täter, der übrigens nicht einmal zu den Schülern zählte, wollte nicht dulden, was er als Beleidigung des islamischen Propheten empfand, und beendete die Debatte mit einem Hackebeil.

In einer emotionalen Gedenkrede erklärte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron den Lehrer zum Helden und schwor, dass Frankreich islamistische Tendenzen verstärkt bekämpfen und auch künftig nicht auf Karikaturen verzichten werde. Zugleich warnte er davor, Muslime zu stigmatisieren. Es hätte einer dieser Momente sein können, in denen die Welt kurz innehält, in denen zumindest die Trauer nicht gestört wird. Doch der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, zog es vor, sich zum Anführer der islamischen Welt aufzuschwingen und den Kulturkampf anzuheizen. Er griff Macron frontal an, bescheinigte ihm Islamfeindlichkeit, empfahl ihm eine psychiatrische Behandlung und rief zum Boykott französischer Waren auf.

Man muss sich das vor Augen führen: Ein islamistischer Jugendlicher enthauptet einen französischen Lehrer in einer kleinen Vorstadt von Paris, und Erdogan stilisiert weltweit Muslime zu Opfern. „Die Muslime“, so erklärte der türkische Präsident bei seinem Rundumschlag gegen Macron, „erleben heute eine ähnliche Lynchkampagne, wie sie gegen Juden in Europa zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geführt wurde.“ Das ist nicht nur maßlos übertrieben. Es ist vor allem hetzerisch. Wer so spricht, schürt auf verantwortungslose Weise ein Klima des Hasses und der kollektiven Dauerkränkung.

Umso bedauerlicher ist, dass Erdogan weltweit zornige Nachahmer fand. Im Nu brandete zwischen dem Iran, Pakistan, und Bangladesch eine Welle islamischer Empörung auf. In Dhaka protestierten 40.000 Menschen gegen Macron und die Mohammed-Karikaturen, in Islamabad rief das Parlament dazu auf, den Botschafter aus Paris abzuziehen. Es wäre angebracht gewesen, Worte des Bedauerns über die Enthauptung von Samuel Paty, zu finden. Doch die Herrschaften wärmten lieber reflexhaft einen bereits 15 Jahren alten Streit auf, der seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ sattsam bekannt ist. Sie werden allesamt Gründe dafür haben, von dringlicheren Problemen im eigenen Land abzulenken, anstatt gelassen und souverän zu konstatieren, dass Heiliges am Ende doch immer erhaben sein müsste über profane Witzchen.

»In westlichen Gesellschaften steht das Recht über der Privatangelegenheit Religion, und dazu zählt auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.«

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es ist keine Tugend, die religiösen Gefühle anderer achtlos oder auf dümmlich provokante Weise zu verletzen. Und es schadet auch nicht, sich in die Gefühlswelt mancherorts tatsächlich diskriminierter oder angefeindeter Muslime hineinzuversetzen. Doch in westlichen Gesellschaften steht das Recht über der Privatangelegenheit Religion, und dazu zählt auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, das sich Europäer in zähen Auseinandersetzung über Jahrhunderte erkämpft haben. Die Satire ist eine wichtige Waffe der Aufklärer gerade auch gegen kirchliche Instanzen gewesen, man sollte sie sich von intoleranten und gewaltbereiten Islamisten nicht leichtfertig aus der laschen Hand schlagen lassen. In Europa gelten andere Regeln für Karikaturen, sogar wenn sie Mohammed abbilden. Ist es zu viel verlangt, dass Machthaber in islamischen Ländern diesen kulturellen und geographischen Unterschied erfassen? Doch offenbar können die meisten von ihnen nicht der Versuchung widerstehen, sich als bigotte Volkstribunen in Pose zu werfen.

Besonders plump polemisierte Ramzan Kadyrow. Der skrupellose Herrscher über Tschetschenien warf Macron in einem Tweet allen Ernstes vor, durch Verständnis für Mohammed-Karikaturen „Menschen in den Terrorismus zu zwingen“. Es ist kaum zu fassen, aber hier wird die Enthauptung des französischen Geschichtslehrers zumindest implizit nachträglich gerechtfertigt. Nicht der Mörder soll schuldig sein, sondern der Ermordete. Die Saat für das nächste fanatische Verbrechen ist gelegt.

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