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Corona war der Härtetest für die digitale Infrastruktur

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Statt die Convenience-Dekadenz zu bedienen, haben sich durch Corona die wichtigen Themen der Innovation verändert, sagt Zukunftsforscher Nick Sohnemann im Interview.

Nick, du bist einer der führenden Zukunfts- und Innovationsforscher Europas und beobachtest die neuesten Entwicklungen in der Digitalisierung. Die Coronakrise hat dazu geführt, dass Digitalisierung zum großen Thema wurde. Was hat sich seither verändert?
Die Coronakrise hat dazu geführt, dass sich die Themen verschoben haben. Bis Jänner haben sich die meisten Innovationen mit Convenience beschäftigt. Die großen Themen auf Messen und in den Medien waren Flugtaxis, Lieferdrohnen, 3-D-Drucker für Schokolade, ja sogar Roboter, die dir das Toilettenpapier bringen. Mit Corona hat sich das geändert. Plötzlich musste die Digitalisierung nicht die Convenience-Dekadenz bedienen, sondern es ging darum, unter Volllast Schüler auf digitalem Weg zu Hause zu bilden oder die Wirtschaft eines Staates über Homeoffice und Videocalls weiterzuführen. Bei den Behörden mussten Dienstleistungen digital funktionieren, damit sie beispielsweise trotz Lockdown Reisepässe oder Führerscheine ausstellen konnten. Kurz gesagt, die wichtigen Kernfunktionen der Digitalisierung, die Infrastruktur eines Landes, wurden durch Corona einem Härtetest unterzogen.

In welchen Bereichen hat Corona zu einem digitalen Entwicklungsschub geführt?
Ein Thema, das wichtiger wird, ist Industrial Internet of Things. Die europäische Industrie ist geprägt durch Ingenieurwesen, den Mittelstand und hochqualitative Produkte. Und unsere Aufgabe ist es, diese Kenntnis in die neue Welt zu bringen. Wir sollten nicht versuchen, Google oder Amazon neu zu erfinden, das werden wir nicht schaffen. Aber wir können die Industrie vernetzen, ein B2B-Internet bauen, die Supply Chain optimieren, sodass sie perfekt abgestimmt und nachhaltig funktioniert. Jetzt kommt 5G, das ermöglicht die Entstehung von Smart Factories, wo Maschinen viel schneller und intelligenter miteinander vernetzt arbeiten. Ich sehe auch das Thema New Work wichtiger werden, das moderne digitale Infrastruktur benötigt. Dabei darf der Arbeitsplatz nicht mehr nach den alten Regeln funktionieren, sondern muss größtmögliche Flexibilität und Freiheit zulassen. Da kommen neue Formen der Videokonferenzen zum Einsatz, die beispielsweise mit Avataren und VR-Brillen funktionieren, um möglichst nah an ein reales Meeting heranzukommen. Das was bei der jetzt genutzten Videokonferenz fehlt, ist die Körpersprache und die Möglichkeit, dem Gegenüber in die Augen zu sehen.  

In dieser Ausgabe der i-presse widmen wir uns der Blockchain. Wie sehr ist das eine Technologie, die den Coronatest bestanden hat und sich weiterentwickeln wird?
Die Blockchain kennen die meisten ja als Währungstechnologie für Bitcoin und ist als Reaktion auf die Bankenkrise entstanden. Damals war das Vertrauen ins Finanzsystem weg und mit den Bitcoins wollte man eine unabhängige, transparente Alternativwährung schaffen. Von der Wirtschaft wird die Technologie der Blockchain zwar mit Neugier beäugt, aber sie kommt noch nicht breit zum Einsatz.

Heißt das, abseits der Kryptowährungen gibt es noch kaum Anwendungsformen in der Wirtschaft? 
Doch, es gibt mittlerweile 85.000 Anwendungen, jene aus der Bankenwelt mitgezählt, aber dabei geht es nicht um Kryptowährungen, sondern um Smart Contracts, Zertifikate und ganz viel um Supply Chain und Tracking. Blockchain ergibt Sinn, wenn alle Beteiligten Zugriff auf alle Details haben müssen, wie beispielsweise ein Flugzeugbauer auf alle Einzelteile, Zulieferungen bis hin zum Scheibenwischer samt allen dazugehörigen Verträgen, Dokumenten, Gewährleistungen, einfach alles. Dasselbe gilt auch, wenn man ein Haus baut. Dann können sich auch alle Zulieferer untereinander besser koordinieren und es vereinfacht enorm die administrativen Abläufe und Prozesse. Da macht es Sinn und da kommen jetzt auch mehr und mehr Anwendungen.

Warum hat sich die Blockchain noch nicht mehr durchgesetzt?
Ein Problem ist, dass die Blockchain zum ersten Mal bei Bitcoins zum Einsatz kam und das war im Zuge der Finanzkrise aus einem Vertrauensverlust heraus. Die Bankenkrise wurde durch einen Vertrauensverlust ausgelöst und dann kam es zum großen Hype der Kryptowährungen. Inzwischen ist das Grundproblem, also der Vertrauensverlust, zumindest in Europa beseitigt, weil wir das Bankensystem optimiert, die Regulatorien und die Aufsicht verschärft haben und es wurden sogar Stresstests eingeführt. Damit ist der ursprüngliche Grund, warum wir eine alternative Währung benötigen, verschwunden. Es gibt den Gartner-Hype-Zyklus, der beschreibt, welche Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit eine neue Technologie nach deren Einführung durchläuft. Der Zyklus hat fünf Abschnitte, bestehend aus dem Durchbruch einer neuen Technologie, einem Hype der überzogenen Erwartungen, ein Tal der Enttäuschungen, weil neue Technologien immer mit Kinderkrankheiten verbunden sind, dann folgt der Pfad der Erleuchtung, der entsteht, wenn ein Verständnis für die Vorteile und die praktische Umsetzung eintritt, und die letzte Phase ist das Plateau der Produktivität. Erst dann ist die Technologie voll massentauglich und wird breit eingesetzt. Also kurz gesagt neigen wir dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen. Ich denke bei der Blockchain setzt gerade der Pfad der Erleuchtung ein, aber voll durchgesetzt hat sich die Technologie eben noch nicht.

Was sind die Kinderkrankheiten der Blockchain, die den breiten Einsatz bremsen?
Das Problem der Blockchain sind die riesigen Datenmengen, die sehr viel Speicherplatz benötigen. Durch diese hohen Datenmengen ist die Blockchain noch nicht so schnell. Aber spätestens, wenn sich das Industrial Internet of Things voll durchgesetzt hat und viele kleine und kleineste Transaktionen zwischen Maschinen stattfinden werden, wird es ohne Blockchain-Technologie gar nicht mehr gehen.

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