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Was ist die Blockchain-Technologie zu leisten imstande?

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In welchen konkreten Logistik-Szenarien kann die Blockchain ihr Potenzial am besten ausspielen und welche Branchenlösungen werden in Österreich gerade und in naher Zukunft entwickelt? Antworten dazu liefert Michael Schramm, Leiter des EY Blockchain-Kompetenzzentrums im deutschsprachigen Raum.

Worin liegen aus Ihrer Sicht die zentralen Vorteile der Blockchain-Technologie?
Michael Schramm: Der wesentliche Nutzen der Blockchain-Technologie liegt darin, dass Transaktionen jeglicher Art nachvollziehbar und unveränderlich protokolliert werden. Das kann ein Wertetransfer ähnlich einer Bezahlung sein, das kann das Übertragen von Rechten sein, das kann das „in Stein meißeln einer Wahrheit“ sein. Letzteres nennt man Notarisierung und ist ein wesentlicher Teil vieler aktueller Blockchain-Projekte. Diese Notarisierung ist auch in der Logistik sehr relevant, vor allem dann, wenn mehrere Firmen, Organisationen und/oder Behörden in einem Geschäftsprozess zusammenarbeiten, dabei allerdings unterschiedliche Interessen haben.
Im Falle von Disputen, Haftungen, Dokumentationen oder Zahlungen ist es wichtig, über eine vertrauenswürdige Datenbasis zu verfügen, der wirklich alle Teilnehmer der Logistikkette vertrauen. Der „Schiedsrichter“, der früher ein sogenannter Intermediär war – also eine Person, ein Notar, eine Organisation oder oft auch eine Firma, die den Prozess dominiert – wird obsolet. Dadurch, dass Blockchain-Knoten und damit die Validierung und Festschreibung der „Wahrheit“ auf mehrere Prozessteilnehmer – oder im Falle der „public blockchain“ sogar weltweit auf zigtausende Knoten – aufgeteilt werden, kontrolliert jeder Teilnehmer automatisch den anderen. Dadurch entfallen Manipulationen auf der einen Seite, aber auch administrativer Overhead auf der anderen Seite.

In welchen Bereichen der Logistik kann die Blockchain konkreten Nutzen stiften?
Da gibt es viele Bereiche. Einer ist z. B. die Digitalisierung von Frachtdokumenten, speziell von solchen, die durch die Hände mehrerer Parteien gehen. Das können Frachtbriefe der diversen Modalitäten sein, genauso wie Gefahrengutdokumentationen und andere behördenrelevante Papiere. Dann gibt es die Abwicklung von Versicherungsfällen im Transport. Das ist heute noch ein sehr aufwändiger manueller Prozess zwischen unterschiedlichsten Parteien per Papier, Telefon und E-Mail. Hier gibt es großes Digitalisierungs- und Automatisierungspotenzial. Und Blockchain hilft hier wiederum, Transaktionen über mehrere Parteien hinweg nachvollziehbar und elektronisch durchzuführen. Das automatisierte Abwickeln von Verträgen ist ein weiteres Einsatzfeld. Durch sogenannte Smart Contracts lassen sich Regeln und Bedingungen für das Erfüllen von Transaktionen und Zahlungen hinterlegen, die von keinem Prozessteilnehmer gebrochen werden können. Dadurch entsteht eine höhere Sicherheit zur Einhaltung von Verträgen.

Ein weiteres Einsatzgebiet der Blockchain in der Logistik liegt bei den Marktplätzen und Transportplattformen. Die Rede ist hier von Abschlüssen von Bestellungen, Vereinbarungen und davon abhängigen Zahlungen mit vielen, teilweise unbekannten Parteien, die durch eine Blockchain deutlich leichter administrierbar und digital exekutierbar werden.

Wenn in diesen Zusammenhängen von Tokens und Digital Twins die Rede ist, was ist damit gemeint?
Beim Management von Ladungsträgern ist es in der Blockchain durch „Tokenisierung“ leicht möglich, sogenannte Digital Twins, also die digitale Repräsentierung von physischen Dingen, zu erzeugen und zu verwalten. Man kann das in etwa mit einem digitalen Gutscheinsystem vergleichen. Ladungsträger von der Palette über die Gitterbox bis hin zum Kleinladungsträger können einfacher verfolgt und der Tausch oder Verlust abgerechnet werden.

Diese digitalen Zwillinge sind auch für Track-&-Trace-Lösungen sinnvoll, speziell wenn Ladungen zwischen mehreren Organisationen übergeben werden. In Verbindung mit Sensorik – das Stichwort lautet: Internet of Things – gibt es hier sehr großes Automatisierungspotenzial.

Sie sind der Initiator der Blockchain Initiative Logistik, BIL. Welche Branchenlösungen für Transport und Logistik auf der Blockchain wurden in diesem Rahmen bereits entwickelt und woran plant man in naher Zukunft zu arbeiten?
Die Blockchain Initiative Logistik hat im Februar 2020 ihre erste Phase abgeschlossen. Branchengrößen wie LKW Walter und Schenker haben gemeinsam mit dem Standardisierungsexperten GS1/Editel unter der Moderation und Implementierung von EY den Piloten eines Blockchain-basierten digitalen Frachtbriefes implementiert und mit echten Transporten getestet. Dieser Pilot wurde im Dezember 2019 auch mit dem Futurezone Award ausgezeichnet – als eine Blockchain-Lösung, die nicht nur einen sehr kurzfristigen echten Businessnutzen hat, sondern auch das Plattformproblem der Zusammenarbeit von konkurrierenden Unternehmen löst. Dadurch hat unsere Lösung eindeutig das Potenzial, zu einem Marktstandard zu werden.

Im Herbst 2020 startet die nächste Phase. Im Mittelpunkt steht die Produktionsreife der Software. Dazu kommt der Aufbau einer kommerziellen Plattform, die nicht nur von den Kernteilnehmern nutzbar ist, sondern als Cloud-Lösung für den gesamten Markt offen steht und dem E-FTI-Standard der EU entspricht. Wir hoffen sehr auf weitere Interessenten, die sich diesem Co-Creation-Projekt anschließen wollen. Besonders spannend ist unsere Initiative für Logistikfirmen, aber auch Industriebetriebe, die eine starke internationale Logistik haben. Als zukünftige Erweiterungen der BIL-Plattform sehen wir neben dem Abbilden weiterer Dokumentarten ebenfalls die Ausweitung bzw. Anbindung auf andere Modalitäten als den Straßenverkehr, also auf Bahn, Schiff und Flug. Auch die Integration von Versicherungen zur digitalen und möglichst automatisierten Transportschadensabwicklung denken wir aktuell an. Die Grundlagen der Blockchain Initiative Logistik sind jedenfalls erfolgreich geschaffen und das Potenzial ist gewaltig.

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