Hilferuf und Protest gegen neue Einschnitte in deutscher Kulturbranche

Demonstration zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft vom Aktionsb�ndnis Alarmstufe Rot . Berlin, 28.10.2020 *** Demon
Demonstration zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft vom Aktionsb�ndnis Alarmstufe Rot . Berlin, 28.10.2020 *** Demon(c) imago images/Future Image (Sebastian Gabsch via www.imago-i)
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Comedy- und Musikstars fordern ein Hilfsprogramm für die Veranstaltungsbranche. Große Theater protestieren gegen eine coronabedingte Schließung ihrer Häuser.

Carolin Kebekus, Luke Mockridge, die Band Die Ärzte, Peter Maffay und andere Comedy- und Musikstars fordern ein Hilfsprogramm für die Veranstaltungsbranche. "Diese Forderung bezieht sich dabei ganz explizit nicht auf uns wenige Topverdiener der Branche, sondern auf die vielen finanziell angeschlagenen privatwirtschaftlichen Kulturstätten, denen die Schließung droht oder die bereits schließen mussten", schreiben "die freischaffenden Humorist*innen und Musiker*innen".

Ihr am Mittwoch veröffentlichter Offener Brief richtet sich unter anderem an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

Kaum eine Branche habe seit Beginn der Pandemie härter an Hygienekonzepten gearbeitet als der Kultursektor, schreiben die Künstler. Zu ihnen gehören unter anderem Michael Mittermeier, Bülent Ceylan, Paul Panzer, Eckart von Hirschhausen, Dieter Nuhr, Niedeckens BAP, Atze Schröder, Bastian Pastewka, Gaby Köster, Gerburg Jahnke, Max Giermann und Micky Beisenherz. Der politische Dank für diese konstruktive Haltung sei jedoch ausgeblieben.

"Weniger als Autos, Flugzeuge und Fußballspieler"?

Kulturveranstaltungen seien mit so weitgehenden Verboten belegt worden, dass dies "faktisch einem Berufsverbot" gleichkomme. "In den letzten Monaten gaben Sie uns das Gefühl, weniger wert zu sein als Autos, Flugzeuge und Fußballspieler", halten die Unterzeichner den Politikern vor.

Kulturschaffende fielen in den meisten Fällen durch das Raster der Hilfsmaßnahmen, argumentieren sie. Es nütze Künstlern zum Beispiel nichts, wenn der Staat Büromiete erstatte - denn diese falle bei ihnen meist gar nicht an. Was ihre Existenz bedrohe, seien private Ausgaben wie Wohnungsmieten und Krankenversicherungsbeiträge.

Die Comedians, Kabarettisten und Musiker fordern Szenarien, um den Kulturbetrieb wieder in Gang zu setzen. Die Politik müsse verstehen, dass auch größere Veranstaltungen sicher aufgezogen werden könnten. "Helfen Sie jetzt!", so der Appell. "Sonst werden wir in ein paar Monaten kulturell ein ärmeres Land sein. Vieles von dem, was dann verschwindet, wird nicht wiederkommen."

Warnung vor neuen Einschnitten

Mehrere deutsche Kulturverbände haben am Mittwoch vor neuen Einschnitten bei Kinos, Museen oder Theatern im Kampf gegen die Coronapandemie gewarnt. "Ein flächendeckendes Kulturverbot hätte dramatische Folgen für die Kinolandschaft und die Filmwirtschaft in Deutschland", teilte etwa die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) mit. In Berlin demonstrierten unterdessen tausende Menschen aus der Veranstaltungsbranche für umfassendere staatliche Hilfen in der Coronakrise.

Sie forderten Hilfsprogramme, "die sich gezielter an den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren als die bisher von der Regierung aufgelegten Förderprogramme", wie es in einem Aufruf hieß.

Ein flächendeckendes Kulturverbot wäre "ein heftiger Schlag und für kleine Privattheater schnell existenzbedrohend", sagte der geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne. Der Deutsche Museumsbund forderte, die Ausstellungshäuser nicht zu schließen. Bisher gebe es "keine gemeldeten Fälle von Museen als Infektions-Hotspots".

Seit Monaten hätten Kinobetreiber dafür gearbeitet, den Menschen ein sicheres Kinoerlebnis zu ermöglichen. "Die eingeführten Regeln wurden strikt umgesetzt – bis hin zu Hausverboten", teilte SPIO-Verbandspräsident Thomas Negele mit. Kinobesuche seien sicher.

"Theater und Opern sind sehr sichere Orte"

"Die Theater und Opern sind sehr sichere Orte", betonte auch Grandmontagne. Der Bühnenverein habe im Vorfeld der Beratungen einen Brief mit einem "eindringlichen Appell" an die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten gerichtet: Es sei derzeit keine einzige Infektion bekannt, die auf einen Besuch im Zuschauerraum eines Theaters, einer Oper oder eines Konzertsaals zurückzuführen sei, heißt es darin. Neue Einschnitte seien daher unverhältnismäßig und würden großen gesellschaftlichen Schaden anrichten.

Die künstlerischen Ensembles der großen Theater in München protestieren in einem offenen Brief gegen eine coronabedingte Schließung ihrer Häuser. "Kulturelle Veranstaltungen zu untersagen, halten wir für falsch. Sie ignorieren damit die Maßnahmen, die die bayerischen Theater seit Monaten einhalten, um einen Zuschauerbetrieb zu ermöglichen. Wir wollen spielen. Wir müssen spielen!", heißt es in dem Schreiben an die Staatsregierung und die Stadt München vom Mittwoch.

Auch der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler hält Theaterschließungen für ein falsches Signal. Für ihn sei das "die schlechteste Nachricht, die man sich vorstellen kann" und auch das Ensemble wolle weiter spielen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in München. Bachler hofft, dass die Theater im Fall eines Lockdowns zumindest weiter proben können.

Auch der Jazzmusiker Till Brönner hat die Politik zu nachhaltiger Hilfe für die Veranstaltungs -und Kulturbranche aufgerufen. "Das Land steht kulturell still und die beweglichsten und ehrlichsten tretet ihr mit den Füßen, wenn ihr nicht handelt", sagte der Trompeter und Fotograf in einem bei Facebook und Instagram veröffentlichten Videoaufruf. In Show und Kultur seien mit 1,5 Millionen mehr Menschen beschäftigt als bei den Autobauern, die Branche erwirtschafte jedes Jahr rund 130 Milliarden Euro.

Öffentliches Leben soll drastisch heruntergefahren werden

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder berieten am Mittwochnachmittag angesichts steigender Infektionszahlen über das weitere Vorgehen. Ein Entwurf für die Beschlussvorlage sieht vor, das öffentliche Leben drastisch herunterzufahren. Bundesweit müssten dann zum Beispiel Gastronomie, Theater, Opern und Kinos schließen.

(APA/dpa)

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