Die Ich-Pleite

Früher war es noch "Gentle Running"

(c) Carolina Frank
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Der letzte Schrei aber heißt „Intervalltraining“. Und auch hier zeigt sich: Alles, was mit "Intervall" anfängt, hört mit Quälerei auf.

Als ich mit dem Laufen angefangen habe, war "Gentle Running" der normale Laufstil. Er verhieß einem Fitness, Gesundheit, Fettverbrennung, ohne Anstrengung. Laufpäpste versicherten, dass es beim richtigen Laufen nicht auf die Geschwindigkeit ankäme. Ja, dass man im Grunde gar nicht langsam genug laufen könne. Das haben sie vielleicht nicht genauso gesagt, aber ich habe es so aufgefasst. Sonst hätte ich ja auch nicht mit dem Laufen angefangen. Abgenommen habe ich zwar nicht. Aber das Gentle Running und ich sind mindestens zehn lange Jahre wunderbar miteinander ausgekommen.

Seit einiger Zeit kriselt es allerdings zwischen uns. Schuld daran sind die anderen Läufer. Zuerst habe ich die jungen Kraftlackel noch nachsichtig beäugt, die alle paar Hundert Meter losstarten, als sei der Leib haftige hinter ihnen her. Es gibt eben überall Ehrgeizlinge. Aber dann wurden die Laufraser immer mehr. Auch junge Frauen, mittelalterliche Frauen und übergewichtige Menschen pfiffen plötzlich links und rechts an mir vorbei. Als mich sogar eine Rentnerin fast über den Haufen rannte, googelte ich. Offenbar war ich die Letzte, die es erfährt: Nur Wappler betreiben noch Gentle Running.

Der letzte Schrei heißt "Intervalltraining". Da wechselt man kurze Sprintstrecken mit lang samen Laufsequenzen. Dabei sollen einem die Kilos von den Hüften purzeln, dass es eine Freude ist. Eigentlich ein ähnlicher Effekt wie beim Intervallfasten, wo man kurze Essensphasen mit langen Nicht-Essendürfphasen abwechselt. Das hätte ich auch schon öfter beinahe einmal probiert. Aber dann ist mir immer eine Schokolade oder ein Glas Wein dazwischengekommen. Man müsste sich nur überwinden. Aber es ist ein eisernes Naturgesetz: Alles, was mit "Intervall" anfängt, hört mit Quälerei auf.

(Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 16.10.2020)

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