Geschmacksfrage

Testessen im Schubert

Christine Pichler
  • Drucken

Großartige (Gemüse-)Küche in einem altbürgerlichen Höhlensystem-Restaurant mit Rauschebart und Töpfereien. So radikalisiert sich die junge Kulinarik Wiens. Schön.
 

Die Mölkerbastei eignet sich leider schon nicht mehr als Filmkulisse: So kitschig-romantisch-biedermeierlich kann man Wien nicht mehr inszenieren. Wirkt viel zu sehr wie eine Filmkulisse. Das dazugehörige Wirtshaus Schubert funktionierte in den vergangenen Jahren nur bedingt. Ein paar Gastronomen versuchten ihr Glück, ein paar Touristen kamen natürlich, auch ein paar übrig gebliebene Altbürger, die das Sakko gern „locker“ über die Schultern trugen.

Nun hat sich tatsächlich ein junges Team um Geschäftsführer Klaus Hartl des Restaurants angenommen, das dank seiner fensterlosen Kammern an das John-Harris-Fitnesscenter am Schillerplatz erinnert – oder an Bin Ladens Höhlensystem im Gebirgsmassiv Tora Bora. Nach Inspektion mehrerer Räumlichkeiten entscheiden wir uns – ein Chefredakteurskollege mit Rauschebart begleitet mich ab sofort zwecks Transparenz regel­mäßig bei Lokaltests – für das Nuss­zimmer  (?), das so gut gelüftet ist, dass Covid-19 Reißaus nehmen muss.

(c) culbengan.photography@gmail.com

Manche Luxushotels in Bezirkshauptstädten haben auch solche holzgetäfelten Zimmer, man weiß schließlich nie, ob nicht ein Rotarier-Klub vorbeischaut. In dieser nicht ganz zeitgemäßen Ausstattung gibt es nun aber eben einen großartigen jungen Koch. Sascha Hoffmann hatte für Wein-Zeus Hermann Botolen im Fuhrmann in der Josefstadt gekocht.

Mit ­seiner eigenen Töpferei (!) in einer der Nebenhöhlen, Entschuldigung: einem der Nebenräume, und seiner unglaublichen Konzentration auf Gemüse, das er etwa von Robert Brodnjak (Kraut) und Evi und Mario Bach (Salatzeug etc.) bezieht, hat er sich noch einmal radikalisiert. Zum Positiven. ­

Er zaubert mit einem gebratenen Brokkoli, Paradeisern der Bachs, knusprigem Quinoa, getrocknetem Topfen und Basilikum ein kleines Aromenfeuerwerk. Gutbürgerlich, aber geschmacklich auch in einer höheren Liga spielt das Beef Tatar mit sauren Kürbisstreifen, Backerbsen und dicker Kürbiskern-Emulsion. Die confierte Seeforelle wird von Sellerie-Püree, Nashibirne und Kerbelwurzel begleitet, die Kombination zeigt Hoffmanns Hunger auf Süßsäure.

Das einmal gebratene und einmal geschmorte Hendl wird mit Kohl, Marille, Kukuruz und Schwarzbrot-­Serviettenknöderln serviert und beweist als Gang: Alfred Gusenbauer irrte, als er in seinem politischen Manifest behauptete, Hendl schmecke nach nichts. Einzig die handwerklich gut zubereitete Fregola Sarda bleibt unter meiner Erwartung, schmeckt halt wie halb Pasta, halb Risotto, zum Glück helfen die Jungzwiebeln und Eierschwammerln. Kurz stellen wir uns vor, dass alle Wiener Touristenfallen in Zukunft so geführt werden würden wie das Schubert. Wir könnten die halbe kulinarische Welt auslachen.

Restaurant Schubert, Schreyvogelgasse 4/6, 1010 Wien, Tel.: +43/(0)1/533 19 97, Restaurant:
Mi–Fr: 11.30–14 Uhr, 18–23 Uhr.

Mehr Kolumnen auf: DiePresse.com/lokalkritiken

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.