Europäischer Rat

Unruhe auf der Kommandobrücke

It's a Video Life: Die Staats- und Regierungschefs tagen nun wieder im Format der Videokonferenz.
It's a Video Life: Die Staats- und Regierungschefs tagen nun wieder im Format der Videokonferenz.(c) APA/AFP/POOL/OLIVIER HOSLET
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Die 27 Chefs müssen sich nach acht Monaten Pandemie Kritik gefallen lassen, dass ihre Koordination in wesentlichen Bereichen kaum oder gar nicht klappt.

Testen, aufspüren, isolieren: Dieses Trivium der Eindämmung der Pandemie ist acht Monate nach ihrem Ausbruch in Europa unumstritten. Das spiegelt sich auch in den Punkten wider, die Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rats, bei der Videokonferenz der 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend geklärt sehen wollte. Denn in der Praxis scheitern so gut wie alle 27 Mitgliedstaaten daran, jeden dieser drei Schritte konsequent umzusetzen.

Es mangelt erstens an Tests sowie an den für ihre Durchführung und Auswertung erforderlichen Gerätschaften und Fachleuten. Und wenn sie verfügbar sind, bekommen die Getesteten ihre Ergebnisse bisweilen erst nach Tagen. Das macht sie für die Erkennung einer Infektionskette sinnlos. In mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, wird der Ruf immer lauter, keine Personen ohne Symptome mehr zu testen, um zu sparen. In Belgien ist das bereits der Fall. Doch sind nicht gerade asymptomatische Virusträger besonders gefährlich? Sollte man also nicht vor allem sie testen?

Das Aufspüren aller Kontaktpersonen zweitens ist gleichfalls in fast allen Mitgliedstaaten nur mehr eine Fiktion. Slowenien beispielsweise hat dieses Contact Tracing schon vorletzte Woche komplett aufgegeben. Die Effektivität der nationalen Tracing-Apps für das Handy variiert gleichfalls enorm, und erst seit ein paar Wochen gibt es ein Protokoll, das es ihnen ermöglicht, grenzüberschreitend zu funktionieren.

Und was den dritten und letzten Schritt betrifft, nämlich das Isolieren infizierter Personen, die keine ärztliche Betreuung benötigen, herrscht innerhalb der Union nicht einmal Einigkeit darüber, wie lang so eine Isolation zu Hause dauern soll: eine Woche? Zehn Tage? Oder 14, wie es die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt? Und was ist mit jenen, die zu nahe und und zu lang mit nachweislich positiv Getesteten in Kontakt waren, aber selbst keine Symptome aufweisen und keinen Test bekommen können? Mit Kleinkindern, bei deren Betreuern Covid-19 nachgewiesen wurde?

Österreich versäumt erneut Datenfrist

Fragen über Fragen, die in ihrer Detailliertheit den Rahmen dessen sprengen, was 27 Staats- und Regierungschefs in einer Sitzung sinnvoll behandeln und beschließen können. Denn dieses Gremium ist für Chefsachen zuständig, nicht für das Klein-Klein der öffentlichen Gesundheitspolitik. Das wäre eigentlich Sache der Gesundheitsminister. Die konferieren am Tag nach den Chefs ebenfalls via Bildschirm – so wie sie das seit Beginn der Pandemie getan haben, ohne dabei eine konsistente gemeinsame Linie in wesentlichen Fragen beschlossen zu haben.

Von den Kommandobrücken ertönen jedenfalls ernste Aufrufe zur kollektiven Entscheidungskraft: „Europa befindet sich nun mitten in der zweiten Welle der Coronapandemie“, teilte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Donnerstag mit. „Umso wichtiger ist es, dass wir uns eng koordinieren, unter anderem bei der Handhabung von grenzüberschreitendem Reisen innerhalb der EU und Testungen, sicherstellen, dass die gemeinsam vereinbarten Regeln auch tatsächlich umgesetzt werden, sowie den Umgang mit Drittstaaten erneut besprechen.“

Im Kontrast zu diesem Appell an die gemeinsame Koordination steht jedoch, dass die Bundesregierung es schon zum zweiten Mal nicht schaffte, die nationalen Daten über Testungen rechtzeitig an das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zu überliefern, welches jene Ampel-Karte erstellt, auf der die Schwere der Durchseuchung in den einzelnen Ländern zu sehen ist (nur Estland, Frankreich, die Slowakei und Zypern waren gleichermaßen säumig).

Chaos wie bei Maskenkauf vermeiden

Der digitale Gipfel brachte keine Ergebnisse, die eine grundlegende Änderung des bisherigen Umgangs mit der Seuche bedeuten würden. Alle 27 seien sich einig gewesen, dass sie den Ankauf von Schnelltests, den die Europäische Kommission am Mittwoch empfohlen hatte, abgestimmt vornehmen müssten, sagte ein Ohrenzeuge der Besprechung zur „Presse“. Ansonsten drohten sich die Staaten auf ähnliche Weise gegenseitig zu konkurrenzieren, wie das im Frühling bei der Beschaffung von Masken und medizinischer Schutzkleidung der Fall gewesen war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2020)

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