Psychologie

Via Roboter, Kamera und Mikrofon in der Klasse

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Symbolbild.(c) imago images/viennaslide
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In einem Forschungsprojekt wollen Wissenschaftler der Medi-Uni Wien kranken Kindern und Jugendlichen ermöglichen, mithilfe von Avataren zumindest virtuell beim Schulunterricht dabei zu sein.

Kinder oder Jugendliche, die wegen chronischer Erkrankungen oder längeren Spitalsbehandlungen oft über Wochen der Schule fernbleiben müssen, leiden mitunter doppelt – nicht nur wegen der Wissens- und Lernprobleme, die sich aus der langen Abwesenheit ergeben können; zu schaffen macht auch der fehlende persönliche Kontakt zu Mitschülern und Lehrern, der zu Einsamkeit, emotionalen Schwierigkeiten, Selbstwertproblemen und psychischen Folgeerkrankungen führen kann.

Dass angesichts dieses sozialen Defizits ausgerechnet ein Avatar – ein künstlicher Stellvertreter des kranken Kindes – Abhilfe schaffen kann, mag paradox erscheinen. Und doch sieht die Pädagogik Avatare als mögliche Lösung: wenn sie nämlich im Klassenzimmer den Platz eines kranken Kindes einnehmen, das diese von zu Hause oder vom Krankenbett aus steuern kann. Avatare seien zwar natürlich kein Ersatz für das reale soziale Leben, sagt der Klinische Psychologe und Forscher Thomas Pletschko. Es handle sich hier jedoch um Fälle, in denen Kinder ohne den Avatar gar nicht am sozialen Leben in der Schule teilhaben könnten. „Es geht in diesem Fall nicht darum, dass das kranke Kind mit dem Avatar kommuniziert, sondern über den Avatar mit den anderen Kindern.“

Mit den Freunden verbunden

Am „Comprehensive Center for Pediatrics“ (CCP) der Med-Uni Wien führt Pletschko eine Studie zur Wirksamkeit eines bestimmten Avatars auf die schulische Situation junger Patienten durch: des von einem norwegischen Start-up entwickelten Roboters AV1. Der handliche Roboter lässt sich über eine App auf dem Tablet oder Smartphone steuern. Er ist mit einer Kamera auf der Stirn und einem Mikrofon im Bauch ausgestattet. Den Ton überträgt er in beide Richtungen, das Bild nur vom Klassenzimmer zum Patienten. Dies sei gegenüber anderen Telepräsenz-Systemen von Vorteil, da viele kranke Kinder wegen ihres körperlichen Erscheinungsbildes selbst nicht sichtbar sein, wohl aber die Klassenkollegen sehen wollten, sagt der Psychologe.

An dem von Pletschko geleiteten „Pediatric Brainfit Lab“ des CCP wird erforscht, wie sich chronische Krankheiten auf das Gehirn, die Schule und den Alltag auswirken. Es werden Verfahren entwickelt und erprobt, die Schülern mehr Teilhabe im schulischen und außerschulischen Alltag ermöglichen. Darüber hinaus werden die jungen Patienten und ihre Angehörigen eingehend beraten. Angeboten werden auch neuropsychologische Therapien, wie Gedächtnistrainings, Sommer-Lernwochen oder Neurofeedback.

In Norwegen, dem Herstellerland des AV1, zählt der Roboter bereits zur Standardversorgung von Kindern bei längerer Krankheit. Aus Pletschkos Sicht wäre auch in Österreich eine möglichst breite Anwendung wünschenswert, da die Effekte sehr positiv seien. „Bislang waren Begeisterungsstürme bei Kindern und Jugendlichen aller Altersgruppen zu verzeichnen, als wir ihnen den Avatar vorgestellt haben. Er soll aber die Arbeit der Heilstättenschule keinesfalls ersetzen. Vielmehr geht es darum, die soziale Isolation zu verringern und das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule zu stärken.“

Die Stichprobe der prospektiven Studie ist laut Pletschko auf etwa 30 Kinder pro Jahr ausgelegt, primär von der Kinderklinik des AKH. „Wenn weitere Sponsoren auftauchen, können wir das Projekt auf andere Spitäler ausrollen.“

In Zahlen

190.000 Kinder leiden in Österreich an chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, angeborenen Herzfehlern oder Krebs.

9 Prozent davon können aufgrund von medizinischen Behandlungen oder Krankenhausaufenthalten die Schule nur unregelmäßig besuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2020)

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