Es gibt Orte, die einen Richtungswechsel markieren, die für Abschiede stehen, für eine Veränderung der Perspektive. Ein kleines Dossier zu „Meilensteinen“ der besonderen Art.
Die Filmemacherin Barbara Kaufmann hat sich mit ihrer Kamera auf die Suche nach solchen Orten gemacht und sie als Schauplätze für vier Kurzgeschichten für die „Presse am Sonntag“ ausgewählt. Es sind Geschichten über Menschen, die an jenen Orten einen Verlust erlebt haben. „Grenzpunkt. Wendepunkt“ ist die kurze Serie benannt und widmet sich in ihrer ersten Geschichte einem Ort, den wohl jeder täglich mehrfach überquert: der Kreuzung.
Sie stand an der Kreuzung und beobachtete die Autos. Sie stauten sich bis zur schmalen Nebengasse, in der sie wohnte. Sie spiegelten sich in den Auslagen der Geschäfte. In den Lichtkegeln ihrer Scheinwerfer tanzte der Regen im Wind.
Und wenn sich die Kolonne in Bewegung setzte und eines der Autos abbog, blendete sie das Licht. Dann schloss sie die Augen.
Im Badezimmer ihrer Wohnung flackerte die Neonröhre. Sie hätte sie längst wechseln können. Sie aus der Fassung schrauben. Die Wattzahl notieren. Eine neue kaufen. Sie hätte die Nachbarin bitten können, ihr bei der Montage zu helfen. Sie hätte gern etwas für sie getan. Alle im Stock boten unaufhörlich ihre Hilfe an. Alle waren enttäuscht, dass sie nicht angenommen wurde. Sie wollten ihr die Einkäufe abnehmen. Sie hielt sie fest an sich gepresst. Sie trugen ihr Rad aus dem Keller. Sie ging zu Fuß. Sie hielten ihr die Lifttür auf. Sie nahm die Treppe.