Kronzeugenregelung ab 2011; mehr Wirtschafts-Know-how für Staatsanwälte. Bandion-Ortner will dadurch erreichen, dass "mehr Leute auspacken". Ausgenommen sind Sexualdelikte und Taten mit Todesfolge.
WIEN. Kein Mitglied der Bundesregierung wurde zuletzt so heftig kritisiert wie sie. In (wirtschafts-)politischen Strafsachen (Stichworte Hypo, Buwog) ziehe sie sich Samthandschuhe an, hieß es. Die ihr unterstehenden Staatsanwaltschaften verbuchten erhebliche Vertrauensverluste: Nun startet Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) eine „Offensive gegen Wirtschaftskriminalität“. Die Eckpunkte: die mit 1.Jänner 2011 anberaumte Einführung der (bereits seit Längerem in Aussicht gestellten) Kronzeugenregelung. Und die – ebenfalls schon vor Monaten angekündigte – Errichtung von „Wirtschaftskompetenzzentren“ an vier Staatsanwaltschaften.
„Wir wollen erreichen, dass mehr Leute auspacken und dafür Anreize schaffen, nach dem Motto ,Wer singt, geht frei‘“, erklärte Bandion-Ortner am Freitag zum Thema Kronzeugen. Als Kronzeuge muss man dem Staatsanwalt sein Wissen offerieren, dieses muss einen Beitrag zur Aufklärung von Straftaten liefern – und es darf noch kein eigenes Ermittlungsverfahren gegen einen (potenziellen) Kronzeugen anhängig sein.
Von der Kronzeugenregelung sind Sexualdelikte und Taten mit Todesfolge ausgenommen. Abgesehen von Korruptionsfällen und Wirtschaftskriminalität kommt die Kronzeugenregel prinzipiell für alle Straftaten in Betracht, die von einem Schöffen- oder einem Geschworenengericht abzuhandeln ist. Im Wesentlichen sind dies demnach Fälle mit einer Strafdrohung von mehr als fünf Jahren. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist am Freitag in Begutachtung gegangen. Bisher gibt es die Kronzeugenregel nur im Kartellrecht.
„Es wird ein Handbuch geben, damit man weiß, wie man Kronzeuge werden kann“, so die Ressortchefin. Trotz Kooperation hat der Kronzeuge mit Sanktionen zu rechnen, wenn auch nicht mit einer Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft kann etwa Geldbußen von bis zu 240 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit auferlegen.
Indessen verbirgt sich hinter dem sperrigen Begriff „Wirtschaftskompetenzzentren“ die spätestens seit dem Bawag-Verfahren gereifte Erkenntnis, dass die Anklagebehörden bei der Aufarbeitung von komplizierten Finanztransaktionen überfordert sind. Mit 1.Juni 2011 sollen sich an vier Standorten, Wien, Graz, Linz, Innsbruck, mindestens 40 Staatsanwälte um komplexe Wirtschaftsfälle kümmern. „Wir müssen aufrüsten und die Effizienz erhöhen“, so Bandion-Ortner.
Straftaten wie schwerer Betrug, Untreue, Veruntreuung oder etwa Kridadelikte – wenn die Schadenssumme fünf Mio. Euro übersteigt – sollen künftig von diesen Zentren behandelt werden. Weiters sollen organisierte Schwarzarbeit, Pyramidenspiele, bei denen eine größere Anzahl von Menschen geschädigt wurde, Bilanzdelikte, Finanzstraftaten oder Geldwäscherei in diesen Bereich fallen.
Die dort tätigen Staatsanwälte sollen speziell ausgebildet sein. Sie sollen schon während ihrer Ausbildung etwa in der Finanzmarktaufsicht oder in Rechtsabteilungen von großen Unternehmen Praxis sammeln. Und: In den Zentren sollen auch externe Experten zum Einsatz kommen.
Mehr Transparenz
Bandion-Ortner rechnet damit, dass die Zentren pro Jahr mit rund 800 Fällen beschäftigt sein werden. Nachdem dem Justizressort eine Personalaufstockung von 151 Planstellen zugesagt worden ist, werden die Ressourcen hier zum Einsatz gebracht, so die Ressortchefin.
Auch einem zuletzt verstärkt vorgebrachten Kritikpunkt, nämlich der schwierigen bis unmöglichen Nachvollziehbarkeit staatsanwaltlicher Entscheidungen, will das Justizministerium nun entgegenwirken. Demnach sollen Opfer künftig erfahren, aus welchen Gründen ein Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. So will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Abgesehen von mehr Informationen für Opfer von Straftaten – diese können nämlich bei einer Einstellung des Verfahrens durch den Staatsanwalt einen Antrag auf Fortführung stellen – sollen eben diese Anträge eingedämmt werden. Zuletzt hatte die Justiz nämlich über eine Antragsflut geklagt. Um den viel zitierten vorauseilenden Gehorsam von „kleinen“ Staatsanwälten einzudämmen, soll ein unabhängiger Rechtsschutzbeauftragter bei „Korruptions- und Wirtschaftsfällen von besonderem öffentlichen Interesse“ Fortführungsanträge stellen können. Werden Verfahren von besonderem öffentlichen Interesse eingestellt, soll die Begründung veröffentlicht werden.
Als „sehr kleinen Schritt in die richtige Richtung, der nicht ausreichend ist, um die dringend notwendige Beschleunigung der Verfahren zu bewirken“, bezeichnete SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim die Offensive. Der Justizsprecher der Grünen Albert Steinhauser sagte: „Ich bin daher skeptisch, denn das Muster ist bei Bandion-Ortner immer das gleiche. Wenn sie in Bedrängnis gerät, werden vage Ankündigungen gemacht, die dann im Sand verlaufen.“
AUF EINEN BLICK
■Angekündigte Justizreformen. Das schwer unter Beschuss geratene Justizressort stellte am Freitag ein Maßnahmenpaket vor, mit dem vor allem Wirtschaftskriminalität bekämpft werden soll: Die wichtigsten Punkte sind die Einführung einer Kronzeugenregelung ab Anfang 2011 und die Errichtung von vier „Kompetenzzentren“ für Wirtschaftsstaatsanwälte ab Mitte 2011. Schönheitsfehler: Die Maßnahmen sind seit Monaten im Gespräch und harren der Umsetzung.
■Weitere Punkte befassen sich mit mehr Transparenz bei Entscheidungen der Staatsanwälte und der Verschärfung des Zugriffs auf kriminelles Vermögen. Außerdem soll in der ersten Oktoberhälfte ein „Justizgipfel“ einberufen werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2010)