UNO-Untersucher: „Blackbox für Ölplattformen“

Arne Jernelöv, schwedischer Umweltbiochemiker, der bei einer ähnlichen Ölkatastrophe die UNO-Untersucher leitete, fordert bessere Sicherheitstechniken.

„Die Presse“: Kann man schon eine Bilanz von Deepwater Horizon ziehen, ist das Schlimmste vorbei?

Arne Jernelöv: Ich denke, ja. Bei Ölkatastrophen gibt es immer eine intensive erste Periode, da sind viele giftige Substanzen, und das Öl ist klebrig. Je wärmer das Wasser ist, umso intensiver ist diese Periode, aber auch umso kürzer. In dieser akuten Phase ist jetzt das Schlimmste vorüber. Aber es gibt zwei Typen von langfristigen Effekten: Der eine kommt von langkettigen Ölbestandteilen wie Teer, die werden nicht rasch zersetzt, aber wenn sie nicht an Strände gelangen, wirken sie nur beschränkt auf das System. Der andere kommt von Algen, die blühen, weil die Tiere, die sie fressen, gestorben sind. Beide kann man über viele Jahre verfolgen.

Wie viele? Zehn, zwanzig?

Jernelöv: Nicht so lange. Im vergleichbaren Fall der Ölkatastrophe von Ixtoc-1, bei der ich die UNO-Beratergruppe geleitet habe, musste man nach fünf Jahren schon sehr genau hinsehen, um Veränderungen zu bemerken. Und manche waren vorteilhaft: Die Fischerträge waren höher, weil es ein Fischfangverbot gegeben hatte und die Bestände sich erholen konnten.

Wo ist eigentlich jetzt das ganze Öl hin? Manche jubeln, 75 Prozent wären weg, in der offiziellen Bilanz der Behörde NOA sind es aber nur 25 Prozent. Wissen Sie, wo der Rest ist?

Jernelöv: Nicht genau. Wir haben bei Ixtoc-1 eine Schätzung gemacht, und teilweise kann man die Situationen vergleichen: Die leichteren Fraktionen verdunsten. Aber bei Deepwater Horizon wurde mehr Öl mit Chemikalien emulgiert (mit Wasser gemischt, Anm.). Das bildet Tröpfchen, an die der Plankton klebt wie Fliegen auf Fliegenpapier. Fische fressen das mit, scheiden es auch wieder aus, es sinkt zum Boden. Dann wird alles zur Definitionsfrage: Ist das Öl?

Aber eine Katastrophe wie bei der „Exxon Valdez“ war das jetzt nicht?

Jernelöv: Wenn Öl sich verteilt, schützt man das Sichtbare – „birds und beaches“ –, etwa durch Chemikalien, die das Öl emulgieren. Dadurch kommen mehr giftige Bestandteile ins Wasser, das hat bei Ixtoc-1 vor allem Shrimps und Tintenfische getroffen. Erstere waren gerade bei der Reproduktion, Letztere steigen im Meer auf und ab und kamen immer wieder in Ölwolken. Kurzfristig ist das schon eine Katastrophe, aber vor allem, wenn man das Fischen verbietet, kommt die Erholung in warmen Gewässern rasch. Exxon Valdez war ja in kalten Gewässern und nahe an der Küste. Deepwater Horizon ist weit draußen und am Meeresboden. Das bringt allerdings auch eine große Unbekannte: Wenn Öl unter hohem Druck in Wasser schießt, hat man eine Art natürliche Emulgierung. Was mit solchem Öl passiert, wurde noch nie studiert, da haben wir jetzt ein Experiment in großem Maßstab.

Welche Konsequenzen sollte man ziehen? Den Werbeslogan von BP – es bedeute auch „Beyond Petroleum“ – ernst nehmen?

Jernelöv: Das wäre sehr wünschenswert aus vielen Gründen, vom Klimawandel bis zur Eigenversorgung vieler Länder mit Energie. Aber ich vermute, dass das eine Weile dauern wird.

Eine kleine oder eine große Weile?

Jernelöv: Eher eine große, es bräuchte entschiedenes politisches Handeln. Wir werden so rasch nicht vom Öl unabhängig werden, und die Bohrungen dringen in immer tiefere Regionen vor. Denn die Technik des Bohrens ist seit Ixtoc-1 fortgeschritten – aber die Technik des Umgangs mit einem Unfall ist stehen geblieben. Man müsste die Ölgesellschaften dazu zwingen, diese Technik parallel zur Bohrtechnik zu entwickeln.

Sonst nichts?

Jernelöv: Man könnte politisch schon etwas tun, auch wenn es die Ölgesellschaften nicht mögen werden, weil es die Kosten stark erhöhen würde. Man könnte sie etwa zwingen, immer mindestens zwei Löcher parallel zu bohren, damit eines bei einem Unfall als Reserve und Entlastung einspringen kann.

Und man könnte Bohrinseln – so wie Flugzeuge – mit einer Blackbox ausstatten. Dann wüsste man, was passiert ist, dann wüsste man auch, welche „Abkürzungen“ die Mannschaften zum Sparen von Zeit und Geld genommen haben. Und man wüsste, wer welchen Befehl gegeben hat. Allein das Wissen der Mannschaft, dass eine Blackbox da ist, würde die Wahrscheinlichkeit von „Abkürzungen“ minimieren.

AUF EINEN BLICK

Arne Jernelöv
ist Umweltbiochemiker am „Institute for Future Studies“ in Stockholm. Er war Direktor am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg und Chef der UNO-Ermittler des Ixtoc-Ölunfalls 1979. [Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2010)

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