Friedrich Achleitner (l.) und Gerhard Rühm zertrümmern bei einer Aktion der „Wiener Gruppe“ am 15. April 1959 im Wiener Porrhaus ein Klavier.
Augenblicke

Besessener Baumeister der Sprache

Friedrich Achleitner, lustvoller Sprachspieler und streitbarer Architekturkritiker. Der Mitbegründer der „Wiener Gruppe", die Literaturgeschichte schreibt, zertrümmert ein Klavier und den Mythos traditioneller Poesie.

Vor 65 Jahren. Ein ausgelassenes Sommerfest in Baden bei Wien. In der Villa von Arnulf Rainer. Hier lernt der Innviertler Friedrich Achleitner, der 25-jährige Sohn eines Landwirts und Müllers, den Exzentriker Gerhard Rühm, die Mutter der Wiener Gruppe – wie ihn Ernst Jandl nennt – kennen. Rühm betreibt mit H.C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener eine Vereinigung böser Buben, die als legendäre „Wiener Gruppe“ in die Literaturgeschichte eingehen sollte.

Friedrich Achleitner schließt sich der künstlerischen Kompanie und ihrer sprachexperimentellen Revolution an und besinnt sich beim Schreiben seines oberösterreichischen Dialekts: „koa oanung/von duddn und blosn//owa//a nosn/a nosn//middn im gsichd“. Eine seiner frühen Geschichten beim ersten „literarischen cabaret“ des Jahres 1968 heißt „friedrich wird eine flasche süßen grauen bieres trinken“, erinnert sich Achleitner Jahrzehnte später: „Da hab' ich dann halt ein Bier getrunken. Wir dachten, dass Konkrete Kunst auch in der Poesie anwendbar ist. Wahrscheinlich haben wir uns geirrt . . .“

Friedrich Achleitner ist das ruhigste Mitglied der schrillen Gruppe und agiert bei Aktionen gern im Hintergrund und zumeist unauffällig. Außer am 15. April 1959 im Porrhaus am Wiener Karlsplatz. Es findet quasi das erste künstlerische Happening Österreichs statt: Als Höhepunkt zertrümmern in der Aktion 2 welten Achleitner und Rühm – ihre Gesichter sind durch Fechtmasken geschützt – ein Klavier auf der Bühne. Die Öffentlichkeit ist nach empörten Boulevardberichten aufgebracht: Ein Skandal! Vor allem, dass man in der Musikstadt Wien einen Flügel zerhackt, ist unfassbar. . .

Bereits als Mitglied der „Wiener Gruppe“ zertrümmert der Sprachspieler – wie das Klavier im Happening mit Gerhard Rühm – den Mythos der traditionellen Poesie. Achleitner schreibt pointiert und scharfsinnig, berichtet von absurden Gedanken und Geschehnissen. Dem großen Kleinkünstler Peter Hammerschlag, dessen Lyrik er auch herausgibt, nicht unähnlich.

Für die Sammlung mit Dialektgedichten hosn rosn baa, die Achleitner mit Artmann und Rühm 1959 herausbringt, gelingt es den Avantgardisten, einen der großen Romanciers Österreichs zum Vorwort zu überreden – und Heimito von Doderer attestiert den Gedichten des Trios einen „noch unentdeckten Sprachbereich mit parodierendem Charakter, der an Karl Kraus denken lässt“. Seine Gedichte, Prosa und experimentellen Texte wie der quadratroman von 1973 werden der „konkreten Poesie“ zugeschrieben.

Friedrich Achleitner.
Friedrich Achleitner.Brigitte Friedrich / SZ-Photo /


Mit unglaublicher Vehemenz – manche vergleichen Friedrich Achleitner mit dem Werkbund-Mitbegründer Josef August Lux, der bereits um 1900 städtebauliche Sünden aufzeigt – versucht der scharf beobachtende Kritiker gegen Abbruch-Spekulation anzukämpfen. Er prangert Verschandelung und Zerstörung historischer Bauten, Stadtteile und Landschaften an: In Publikationen wie 1977 „Die Ware Landschaft“ oder 20 Jahre später „Regionalismus, eine Pleite?“. Und in der messerscharfen Polemik „Wiener Architektur. Zwischen typologischem Fatalismus und semantischem Schlamassel.“

Ab 1963 lehrt Achleitner auch 20 Jahre lang Geschichte der Baukonstruktion an der Akademie der bildenden Künste. Als der profundeste Architekturhistoriker Österreichs katalogisiert er das ganze Land. Bereits Mitte der 1960er-Jahre beginnt Achleitner wie ein Besessener mit der systematischen Vermessung. Wichtig ist für ihn, dass man „nur über Dinge spricht, die man vor Ort gesehen hat. Und die man kennt. Und die man fotografiert.“

Im Zuge seiner Begehungen sammelt er 66.500 Foto-Negative, 37.800 Dia-Positive, über 1000 Bücher und Kataloge, 570 Plandarstellungen, 250 Begehungspläne, unzählige topografisch geordnete Materialschachteln. Und 2690 Karteikarten österreichischer Architektinnen und Architekten. Das gesamte Archiv als Dokumentation des architektonischen Erbes wird von der Stadt Wien angekauft und dem Architekturzentrum Wien übergeben. Bei der Eröffnung im Oktober 2001 findet eine Art Doppelconference zwischen dem Architekturkritiker und dem − perfekt vorbereiteten – Laien Alfred Dorfer statt, die dieser mit dem Satz „Grüß Sie, Herr Achleitner, ich freu mich, dass sie sich bereit gefunden haben, vor der Nachspeis mit mir ein bisschen über Architektur zu plaudern“ einleitet. Es entwickelt sich keine Plauderei, sondern ein profundes Gespräch über Joseph Urban und die „New School for Social Research“, Richard Neutra, Heinz Tesar, Raimund Abraham und über Margarethe Schütte-Lihotzky, die erste Frau, die in Österreich Architektur studiert und sie als gesellschaftlichen Auftrag versteht.

Kurz nach seinem 80. Geburtstag vollendet Achleitner vor zehn Jahren sein Lebenswerk: Die mehrbändige Dokumentation „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“. Bereits 1980 erscheint der erste Band seines Opus magnum, in dem Bauwerke in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg dokumentiert werden. Der zweite Teil des Achleitner, wie die akribische Dokumentation in Fachkreisen genannt wird, umfasst Kärnten, Steiermark und das Burgenland. Aufgrund des Umfangs wird Wien in drei Bänden behandelt. Niederösterreich schafft der Chronist nach 45 Jahren nicht mehr.

Der streitbare Theoretiker, der bei Clemens Holzmeister Architektur studiert, aber selbst wenig baut – wie die Aufsehen erregende purifizierende Neuinterpretation des Innenraums der Pfarrkirche Hetzendorf – widmet sich der Baukunst nur schreibend. Nach einem kurzen (anonymen) Gastspiel beim Revolverblattl „Abendzeitung“ und seiner Kolumne „Bausünden“ wechselt er 1962 zur „Presse“, wo er zehn Jahre lang Architekturkritiken verfasst. In seinen Beiträgen kritisiert er die Zerstörung alter Bausubstanz und die massive Bebauungsverdichtung in der Wiener Innenstadt durch Hochhäuser – wie das Hotel Intercontinental oder das Gartenbau-Hochhaus.

Der streitbare Kritiker, Dynamo und Förderer hochwertiger Architektur Friedrich Achleitner bezeichnet seine Existenz als leicht schizophren. Literatur sei sein Vergnügen, Architektur bezeichnet er als Knochenarbeit. Jahrzehntelang gilt der Baumeister der Sprache als kritische Instanz, als das Gewissen guten Bauens in Österreich.
Vor fünf Jahren erscheint das Buch „wortgesindel“ mit ironischen Beobachtungen des Alltags. Im Wirtshaus, in der U-Bahn oder bei Begegnungen mit Frau Zweifel, oder den Herren Dings und Möchtegern.

Und mit Grüßen an seine Freunde aus der wilden Zeit der 1950er-Jahre: Gerhard Rühm erhält im Buch die traurige Mitteilung „ich bin für das jetzt viel zu langsam. (. . .) so werden die Vergangenheiten immer viel schöner, als sie jeweils waren. diese schweine.“ Mit seiner Dichtkunst leistet er einen bedeutenden Beitrag zur Sprach- und Gesellschaftskritik.
Achleitners enzyklopädisches Standardwerk bleibt auch für kommende Generationen unverzichtbar: „Ich habe mich“, meint der wichtigste heimische Architekturhistoriker 2011 anlässlich der Verleihung des Paul-Watzlawick-Ehrenringes, „weder nur als Architekturkritiker oder Schriftsteller gesehen, sondern als jemand, der Mauern des Unverständnisses niederreißen möchte – sowie Fantasie, Ratio und emotionale Wissenschaft in einen Diskurs bringen will.“ ⫻

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.