Culture Clash

Trump der Friedliche

Der größte Maulheld der jüngeren US-Geschichte hat Amerika aus mehr Konflikten herausgehalten als seine Vorgänger. Vielleicht gerade weil sein Ego so groß ist?

Es kann ja sein, dass in ein paar Tagen die Welt wieder mit offenem Mund dasteht und sich fragt, wie Donald Trump ein zweites Mal eine Mehrheit finden konnte. Dass er nach vier Jahren Narzissmus, Polarisierung und auch noch Corona-Stümperei überhaupt eine Chance hat, ist ja erstaunlich genug.

Aber ganz so irrational ist die Sache nicht. Trump-Wähler können sich etwa damit beruhigen, dass die USA in der Corona-Opferzahl immerhin noch besser wegkommen als Belgien, Spanien und Italien, deren Regierungen keineswegs mit Hohn bedacht werden.

Und dann ist da der seltsame Umstand, dass die USA heute in der Weltpolitik relativ sicher dastehen, und das vielleicht gerade wegen des Narzissmus. In Trumps Lebenshilfe-Buch „Think Big“ aus dem Jahr 2010 lernt man ihn als Mensch kennen, der vom Erfolg lebt und unter keinen Umständen ein Loser sein will. Die Welt ist ein böser Ort, an dem selbst deine Freunde hinter dem her sind, was dir gehört. Mitarbeiter haben daher vor allem loyal zu sein, und auch vor denen musst du auf der Hut sein. Ein eigenes Kapitel widmet sich genussvoll der Rache: Wenn jemand dich schlägt, schlag härter zurück!

Millionen Amerikaner haben das gelesen, die bei Trump Unterstützung für ihren nicht unamerikanischen Traum spüren, jemand zu sein, weil man Geld und Erfolg hat. Aber auch die Stäbe von Putin, Erdoğan etc. dürften das ausgewertet haben: Aha, einer wie wir! So unberechenbar, rücksichtslos und daher so gefährlich wie wir. Und darum bleibt man in Respektabstand. Und was einem keinen persönlichen Erfolg verspricht, lässt man lieber sein.

Die Wikipedia-Statistik ist eindrucksvoll: Die fünf Präsidenten von Reagan bis Obama haben die USA in 28 bewaffnete Konflikte hineingezogen. Bei Trump steht ein einziger Eintrag: der Schlagabtausch mit dem Iran seit Mai 2019. Und in seine Regierungszeit fallen die größten diplomatischen Erfolge im Nahen Osten seit Langem.

Die Sache ist natürlich komplexer. Aber Trump als Champion des amerikanischen Traums und als personifizierte Abschreckung hat einen rationalen Appeal (ganz zu schweigen von seiner Bedeutung für die konservative Seite des US-Kulturkampfs). Gleichzeitig ist es beunruhigend, dass die Weltpolitik tatsächlich der Dschungel ist, in dem der brustschlagende Gorilla sich mehr Respekt verschafft als der vergleichsweise nachdenkliche Schimpanse. Und was bedeutet es auf längere Sicht für die Demokratien, wenn sich der Typus Trump durchsetzt, in dessen Buch sieben Mal „kick-ass attitude“ vorkommt, aber kein einziges Mal das Wort Integrität?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien. ⫻

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